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18. Dezember 18

Blick zurück nach vorn - Retrospektiven im Change nutzen

Retrospektiven dienen beim agilen Arbeiten dazu, in festen Rhythmen die Kooperation zu reflektieren mit dem Ziel, das Team im Rahmen des aktuellen Projekts arbeitsfähig und erfolgreich zu machen. Retros werden mit ihrem Fokus auf die soziale Ebene ganz bewusst von regelmäßigen Reviews unterschieden, bei denen es im agilen Kontext um die Sachebene geht - also um inhaltliche Fragen.

Auch im klassischen Projekt- und Change-Management gibt es Review-Formate: Sie sind allerdings inhaltlich unspezifischer, weil allenfalls innerhalb der Formate zwischen Sach- und Beziehungsebene unterschieden wird. Und sie finden weit seltener statt - meist erst nach Abschluss von Projekten bzw. Initiativen. Mit diesen After-Action-Reviews sollen Erfahrungswissen und gewonnene Erkenntnisse "für die Nachwelt" festgehalten und Fehler in Folge-Projekten vermieden werden.

Wir halten es für sinnvoll, das Grundkonstrukt "Retrospektive" auch für Change-Prozesse zu nutzen - im Sinne eines sich wiederholenden Blicks auf die soziale Ebene und das Miteinander der unterschiedlichsten Akteure / Stakeholder, die Change erfolgreich machen. Hintergründe und Vorgehen möchten wir anhand folgender Fragen verdeutlichen:

  1. Warum reichen Lessons Learned nicht für den Change?
  2. Wieso ist für Change-Prozesse der Blick auf die soziale Ebene so relevant?
  3. Was leisten Retrospektiven im Change?
  4. Wie können Retros im Rahmen von Change integriert werden?
  5. Welche Akteure sollten einbezogen werden?

1. Warum reichen Lessons Learned nicht für den Change?

Mit einer intensiven und systematischen Analyse sollen Handlungsempfehlungen gewonnen werden, von denen Folgeprojekte profitieren können. Das ist gut gedacht, allerdings gibt es einige Schwierigkeiten beim Umsetzen: Solche meist formal dokumentierten Lessons Learned und Best Practices landen trotz aller Wissensmanagement-Strategien meist in (digitalen) Schubladen - und das aus guten Gründen:

  • Da die Erkenntnisse nicht mehr den Akteuren im aktuellen Projekt dienen, haben sie das Gefühl, nur noch "für andere" zu arbeiten. Da fehlt am Ende häufig die Energie, kritische Punkte und schwierige Themen offen anzusprechen und damit möglicherweise Konflikte heraufzubeschwören, die man im Projekt mehr oder minder erfolgreich umschifft hat.
  • Oftmals sind verschriftlichte Ergebnisse so pauschal oder so spezifisch, dass sie anderen wenig Orientierung geben - einerseits, weil man sich nicht gerne in die Karten schauen lassen möchte und andererseits, weil für Unbeteiligte die Empfehlungen manches Mal nur dann nachvollziehbar sind, wenn sie die Dynamiken und Hintergründe kennen.

Vielfach fallen diese Rückblenden dem Zeitdruck zum Opfer:

  • Projekte werden unter Hochdruck gerade noch in letzter Minute abgewickelt oder überziehen die Frist. Und wenn es schon mit der "Pflicht" nicht klappt, erspart man sich gleich auch die "Kür", weil sie keinen unmittelbaren Beitrag zum Ergebnis leistet.
  • Unternehmen befinden sich heute häufig in multiplen Change-Vorhaben, die sich überschneiden bzw. parallel prozessiert werden. Das "Abschließen" der einzelnen Prozesse wird angesichts steigender Komplexität manchmal schlicht vergessen. Oder die Prozesse fließen ineinander und überlagern sich derart, dass ein Rückblick auf einen konkreten Prozess wenig Mehrwert zu bringen scheint.

Doch auch wenn alles "vorschriftsmäßig" läuft, bleibt das Beschränken auf reine After-Action-Reviews bei Change-Prozessen oft wenig ergiebig, weil ...

  • manchmal ein recht langer Zeitraum rückblickend betrachtet werden muss
  • die Anzahl der - vielleicht nur zeitweise für das Projekt abgestellten - Akteure recht hoch ist und sie schnell wieder ins operative Geschäft zurückbeordert werden und kaum noch zur Verfügung stehen
  • das aussagekräftige Aufbereiten der Erkenntnisse für andere recht aufwendig ist und nach unserer Erfahrung solche Berichte in Folgeprojekten kaum aktiv genutzt werden
  • die Erkenntnisse nicht mehr in den Prozess einfließen, in dem sie entstanden sind.

2. Wieso ist für Change-Prozesse der Blick auf die soziale Ebene so relevant?

  • Change-Prozesse sind organisationale Lernprozesse: Führungsteams, Organisationseinheiten oder sogar die Organisationen als Ganzes sind im Change damit beschäftigt, etwas Neues zu etablieren. Dieses organisationale Lernen vollzieht sich immer auch implizit - also mitlaufend im praktischen Doing durch das unmittelbare Erleben und Bewältigen herausfordernder Situationen. Unterstützt und vertieft werden können diese Lernprozesse durch das explizite Auseinandersetzen mit Erfahrungen: Das bewusste Reflektieren erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Erkenntnisse auch rational zugänglich sind und Verhalten gezielt gesteuert werden kann. Und das ist für erfolgreiche Kooperation von entscheidender Bedeutung.
  • Viele Change-Prozesse sind aufgrund ihrer Komplexität nicht mehr linear planbar. Die anfangs grobe Architektur wird in einem iterativen Prozess Zug um Zug ausgestaltet. Damit braucht der Change-Prozess auch iterative Formen der Auswertung und des Verankerns von Lernen auf organisationaler Ebene. So ergibt sich eine fruchtbare Verbindung mit agilen Arbeitsmethoden.
  • Change-Prozesse setzen absichtsvolle Veränderungen in Gang - i. d. R. ausgehend von einem angestrebten sachlichen Ziel - dem "Was". Um ein solches Vorhaben umzusetzen, ist allerdings das "Wie" - die soziale Dimension - von entscheidender Bedeutung. Denn gerade in Change-Prozessen treffen unterschiedliche Perspektiven aufeinander, wird heftig um den richtigen Weg gerungen, treten Ängste und Konflikte gehäuft auf, müssen trotz bzw. gerade wegen großer Differenzen tragfähige Entscheidungen getroffen werden. Das alles erfordert eine produktive Kooperationskultur - und die muss sich mitlaufend entwickeln bzw. aufrechterhalten werden, damit gemeinschaftlich getragenes und verantwortliches Handeln möglich wird.

3. Was leisten Retrospektiven im Change?

  • Retrospektiven bieten eine ritualisierte Plattform für Feedback und Reflexion.
  • Sie schaffen einen Rahmen, um Frustration abzubauen, sich mit neuer Energie zu versorgen, sich kontinuierlich weiter zu entwickeln und miteinander arbeitsfähig zu werden bzw. zu bleiben.
  • Meist lassen sich 5 Phasen unterscheiden, in denen nach der "Problembeschreibung" noch tiefer analysiert wird, bevor man sich der Suche nach Lösungen zuwendet. Dieses Verfahren schult lösungsorientiertes Denken auch für andere Kontexte und leistet damit einen grundsätzlichen Beitrag zum organisationalen Lernen.
  1. Starten: Ziele / Ankommen
  2. Daten sammeln: Beobachtungen / Prioritäten
  3. Einsichten gewinnen: Hintergründe / Hypothesen
  4. Ideen entwickeln und Maßnahmen beschließen: Entscheiden / Verabredungen
  5. Abschließen: Rückblick / Manöverkritik

4. Wie können Retros im Rahmen von Change integriert werden?

  • Change-Architekturen sollten von vornherein Formate enthalten, die explizite Reflexionsprozesse und damit organisationales Lernen unterstützen. Retrospektiven lassen sich am besten implementieren, wenn sie als fester und unumstößlicher Bestandteil festgelegt und ritualisiert durchgeführt werden - auch wenn (noch) alles rund läuft. Das stößt vor allem zu Beginn nicht auf ungeteilte Zustimmung, weil die Effekte sich nicht unmittelbar im Ergebnis niederschlagen.
  • Wenn solche Reflexionsformate noch nicht eingeübt sind, ist es hilfreich, einen erfahrenen Moderator (intern oder extern) einzubeziehen. So ist sichergestellt, dass der Fokus nicht verloren geht. Außerdem wird ein "sicherer" Raum geschaffen, in dem auch schwierige Themen auf den Tisch kommen können.
  • Ein iterativer Change-Prozess braucht verschiedene Arten von Retrospektiven. Für die unterschiedlichen Konstellationen der Change-Akteure sollte ein passender Rhythmus und eine stimmige Form gefunden werden.
  • Es gibt viele interessante Retro-Formate, die je nach Bedarf eingesetzt werden können. Mit der einfachen Methode "Start-Stop-Continue" wird z.B. erhoben, womit das Team anfangen sollte, um besser zu werden, womit es aufhören sollte, weil es nicht wirksam ist, und was weiter gemacht werden sollte, weil es gewinnbringend ist.
  • Lessons-Learned-Workshops können nach wie vor ein wichtiges Element am Ende eines Prozesses sein. Mit den etablierten Retrospektiven erreichen sie allerdings eine viel höhere Wirksamkeit, weil das gemeinsame Reflektieren eingeübt ist.

5. Welche Akteure sollten einbezogen werden?

  • Retrospektiven können und sollten in allen Arbeitskonstellationen implementiert werden - z.B. bei Projekten und in kurzfristig zusammenarbeitenden Gruppen. So wird das Reflektieren über Kooperation zunehmend zum Normalfall.
  • Ebenso sinnvoll sind Retros für Führungsteams, die gemeinsam die Verantwortung für einen Change-Prozess tragen. Die Intensität der Kooperation übersteigt dann meist deutlich das im operativen Kontext gewohnte Maß an Zusammenarbeit. Oft entstehen Konflikte, weil man sich angesichts einer gemeinsamen Herausforderung nicht einfach zurückziehen kann. Retrospektiven unterstützen Führungsteams dabei, die Qualität ihre Kooperation zu checken und voranzubringen. Das strahlt auch auf die operative Ebene aus.
  • Auch im Hinblick auf die Kooperation zwischen interner und externer Change-Begleitung sind Retrospektiven sinnvoll: Wenn die Planung der jeweils nächsten Phase um Erkenntnisse in der Zusammenarbeit angereichert wird, kann die Wirksamkeit im weiteren Prozess steigen. 

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