10. März 20
Die strategischen Bühnen von Sennheiser
Das Familienunternehmen in dritter Generation, spezialisiert auf die Entwicklung und Produktion von Audiotechnik, hat vor etwa einem Jahr eine neue Art der Orchestrierung seiner Unternehmensstrategie gestartet - mit Erfolg!
Sennheiser ist einer der führenden Hersteller von Kopfhörern, Lautsprechern, Mikrofonen und drahtloser Übertragungstechnik. Die strategischen Ausrichtungen der Produktdivision haben sich aufgrund von Marktveränderungen immer weiter auseinander bewegt. Eine weitreichende Autonomie der Divisionen hat die Geschäftsführung schnell vor die Frage gestellt: Sind es zukünftig mehrere Unternehmen oder streben wir als Unternehmen eine gemeinsame Mission an?
Die Antwort wurde rasch gefunden und war eindeutig: Es gibt eine Marke und damit ein Unternehmen Sennheiser.
Um die Autonomie und die Umsetzungsgeschwindigkeit der Divisionen zu unterstützen, wurde ein Prozess entwickelt, der neben einem neuen strategischen Rahmen für das gesamte Unternehmen auch noch die Entwicklung einer regelmäßigen, abgestimmten Rhythmik und einer gemeinsamen methodischen Sprache vorgibt. Im Zuge eines Workshops "Lust auf Strategie" bei Sennheiser haben wir die Verantwortlichen zu dem selbstgestalteten Prozess befragt.
Die Strategie-Ebenen
Heute gibt es bei Sennheiser drei definierte Strategie-Ebenen, repräsentiert durch jeweils eigene Strategie-Abteilungen: Corporate Strategy, Divisions Strategy und Central Functions Strategy.
Da das international tätige Unternehmen nach einer divisionalen Logik gegliedert ist, sind Strategien von Kernmärkten innerhalb der jeweiligen Divisionsstrategie zu finden und Länder somit als keine eigene Ebene sichtbar. Die beschriebenen Ebenen sind analog zu den Organisationsformen der nachfolgenden Grafik.
Quelle: in Anlehnung an Dietl, Walter; Strategieentwicklung für Unternehmensfunktionen; 2018; Wien
Aufgaben und Zusammenspiel der Ebenen
Jede der drei beschriebenen Ebenen, die man sich Top-Down in einer Pyramide vorstellen kann, hat eine Kernaufgabe:
- Corporate befindet sich an der Spitze der Pyramide und sorgt für einen klaren Purpose, das Wertegerüst und die Marke Sennheiser. Untrennbar von der Strategie ist hier auch das Thema Kultur verankert. Als Rahmen gibt es für die folgenden Ebenen auch konkrete Jahresziele.
- Die Divisionen füllen den von Corporate vorgegebenen Rahmen mit einer konkreten Implementierungsstrategie aus und fokussieren dabei auf die jeweiligen Kernzielgruppen und -märkte. Hier werden autonome Entscheidungen getroffen, sofern diese innerhalb des von Corporate vorgegebenen Rahmens liegen. Die Zielvorgaben auf dieser Ebene werden noch konkreter (z.B.: Erschließung neuer Länder, neuer Produktsegmente oder messbare Verbesserungen in der Kundenzufriedenheit).
- Die Funktionen gestalten ihre Strategien relativ eng an den Vorgaben der Divisionen und stehen in engem Austausch mit diesen. Die Gestaltung erfolgt hier primär mithilfe von Service Level Agreements.
Orchestrierung: Canvas und eine neue Sprache
Sennheiser hat sich für das unternehmensweite Arbeiten mit einem Strategie Canvas entschieden. Mit dieser Methode sowie der Festlegung einer einheitlichen Nomenklatur waren die ersten Schritte für das Abstimmen der Strategieebenen getan: Das Etablieren einer gemeinsame Sprache. Die Befüllung der Canvases auf allen Ebenen liegt in der Hand der Strategen, da sie die nötige Methodenkompetenz mitbringen. Diese arbeiten gezielt mit Personen aus dem Unternehmen zusammen, deren Erfahrung für die Gestaltung der Iterationen oder Entscheidungen für Optionen essenziell ist. Einigkeit besteht auch darin, dass Strategiearbeit nicht immer in eine Konsensentscheidung münden kann, jedoch großes Augenmerk auf eine umfassende Informations- und Kommunikationspolitik gelegt werden sollte. Um bereits in einer frühen Phase der Strategieentwicklung eine Führungsallianz für strategische Schwerpunkte zu sichern, sind die jeweils anderen Ebenen wechselseitig beieinander "zu Gast" und unterstützen beratend.
Da Strategie bei Sennheiser als kein isoliertes Event gedacht ist, über das nur einmal pro Jahr reflektiert wird, gibt es eine zeitliche Taktung der betreffenden Aktivitäten. Das passiert in einem iterativen, zyklischen und rhythmischen Kreislauf, bei dem die Implementierung der jährlichen Corporate- sowie Divisionsstrategien in Quarterly Business Reviews überprüft wird. Feedback zur Erreichung von Zielen und Zahlen fließen gezielt in die folgenden Strategiezyklen ein.
Quelle: Sennheiser, eigene Darstellung
Top 3 Paradoxien und Herausforderungen
- Das Aushandeln von Freiheitsgraden ist nach wie vor keine einfache Übung. Corporate Strategy verzichtet zugunsten des Gestaltungsspielraums der Divisionen auf einen Teil ihres Durchgriffsrechts bei definierten Themen. Dies erhöht neben der Geschwindigkeit auch die Akzeptanz und die Accountability in den Divisionen. Ein klares Regelwerk macht hier jedoch wenig Sinn - die "Einordnung", welche Ebene wieviel Entscheidungsautonomie hat, erfolgt schrittweise durch das Aushandeln konkreter Fälle. So ergibt sich ein immer vollständigeres Bild für alle Strategen über welche Entscheidungen die übergeordnete Ebene lediglich informiert, aber nicht einbezogen werden muss. Ähnlich gestaltet sich das Aushandeln der Service Level Agreements: Ziel ist die Schaffung einer hilfreichen und konkreten Rahmengebung ohne übermäßige Genauigkeit und einengende Bürokratisierung.
- Der Zeitaufwand ist nicht zu unterschätzen. Die regelmäßige Abstimmung zwischen den Ebenen sowie das laufende Reporting und Maßnahmen-Controlling kosten Zeit. Der Abstimmungsaufwand zwischen Divisions- und Funktionsstrategen bzw. Schlüsselspielern wird auf mehrere Tage pro Monat geschätzt. Trotz der hohen zeitlichen Investition entstehen nach wie vor Informationslücken innerhalb des Unternehmens.
- Strategie muss gekonnt sein! Neben dem zeitlichen Aufwand wird auch viel Energie in das Upskilling der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiert. Ohne Kenntnis der Modelle und Prozesse zur Strategieentwicklung ist an das neue gemeinsame Arbeiten an Strategie nicht zu denken.
Top 3 Erfolgsfaktoren
- Durch die wechselseitige Involvierung der Ebenen haben alle Beteiligten einen besseren Überblick über die jeweiligen strategischen Vorhaben. Es hat sich ein stärker abgestimmtes Arbeiten etabliert, wodurch das Aushandeln von unklaren Situationen routinierter erfolgt und man nun füreinander als gesundes Korrektiv auftritt. Die so entstandenen Entscheidungsautonomien der einzelnen Ebenen machen die Organisation schneller und schlagkräftiger. Das gemeinsame Unternehmen rückt stärker in den Vordergrund, die Partikularinteressen der Ebenen oder einzelnen Divisionen verlieren an Einfluss. Es ist ein Momentum entstanden, in dem alle mit viel Einsatz und Freude arbeiten, weil es ein klares Ziel gibt.
- Eines wird jetzt schon klar - die Strategien bei Sennheiser werden nicht für Schreibtischladen geschrieben. Das implementierte Regelsystem stellt den Austausch zu Erfolg und Misserfolg im Hinblick auf die gesteckten Ziele sicher und somit wird in kurzen Abständen laufend an der Strategie gearbeitet. Die Strategie hält einen verbesserten Einzug ins Operative.
- Tue Gutes und sprich darüber! Durch die intensive Beschäftigung mit Strategie und Implementierung auf allen Ebenen hat sich nach und nach ein neues Bild im gesamten Unternehmen verbreitet. Auch wenn Details noch nicht an jeden Werktisch vorgedrungen sein mögen - dass sich das Unternehmen erfolgreich mit seiner Strategie und Kultur auseinandersetzt und die Themen aktiv in die Hand nimmt, sorgt allerorts für ein neues Selbstbewusstsein.
Woran erkennt man erste Erfolge?
Die Strategie ist bekannt, über Strategie wird diskutiert - es gibt Round Tables, das Set-up ist fester Bestandteil der Leadership Schulungen. Aktuelle Initiativen haben einen nachweislichen Bezug zur Strategie, auch außenstehende Personen verstehen den Zusammenhang.
Mehr Inspiration zur Strategieentwicklung von Unternehmensfunktionen sowie das Zusammenspiel unterschiedlicher Strategieebenen finden Sie in folgendem Buch: Dietl, Walter, Strategieentwicklung für Unternehmensfunktionen. Schäffer-Poeschel, 2018.
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