18. Dezember 18
Skalierbarkeit von agilem Organisationsdesign
Work in Process, Teil I: Bestandsaufnahme und erste Schritte
In vielen IT-Bereichen wird nach agilen Prinzipien, mit agilen Methoden wie Scrum, Kanban oder ähnlichen gearbeitet. Das funktioniert in den einzelnen Teams gut - aber welche Möglichkeiten der Skalierung gibt es, wenn die Teams und Aufgabenstellungen wachsen? Und wie gelingt es, agile Organisationseinheiten mit klassisch strukturierten Bereichen gut zu verbinden?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich momentan auch der IT-Bereich eines Energie- und Telekommunikationsversorgers. Hier berichten wir von dessen ersten Schritten im Vorgehen.
Schon länger wird in einer Abteilung der IT auf Teamebene erfolgreich mit Scrum gearbeitet. Nun wachsen die Anforderungen, es werden weitere Mitarbeiter eingestellt und neue Teams gegründet. Die Führungskraft stellt sich die Frage, wie die strategische Weiterentwicklung, die gemeinsamen Qualitätsstandards, das gemeinsame Mindset und die Bearbeitung weiterer Fragen der übergeordneten Kollaboration gesichert werden können. Dies ist in der wachsenden Einheit nicht mehr in allen Fällen gleichzeitig mit allen Beteiligten möglich. Im ersten Beratungsgespräch wurden dabei folgende Herausforderungen deutlich:
- Sowohl die anderen IT-Abteilungen als auch der Rest der Organisation sind klassisch hierarchisch aufgestellt - die Zusammenarbeit mit den Schnittstellen gestaltet sich jetzt schon nicht einfach. Dies muss im Prozess mitgedacht werden.
- Alle "Regeln" dieser klassischen Aufstellung sind einzuhalten. Dies bedeutet, dass z.B. neue Rollen mit der Gesamtorganisation und der Mitbestimmung abgestimmt werden müssen.
- Außerdem sollten keine neuen Hierarchiestufen eingezogen werden - auch nicht verdeckt unter anderem Titel. Die disziplinarische Verantwortung bleibt beim Abteilungsleiter.
Zudem sollte hier ein Pilot-Projekt installiert werden, das gegebenenfalls in die anderen Abteilungen übertragen werden kann.
Gemeinsames Verständnis über den geplanten Prozess herstellen
Der gemeinsame Prozess begann mit einem intensiven Einzelgespräch mit der Führungskraft, die an der strategischen Gestaltung des gesamten Bereichs mitarbeitet. Ziel war es, die unterschiedlichen Themen zu sortieren: Was muss in welcher Reihenfolge getan werden? Außerdem wurde der Ist-Zustand erhoben: Wie laufen die Prozesse jetzt, wie werden diese Themen derzeit verortet? Es wurden Themencluster identifiziert, die es in der Folge zu bearbeiten galt, wie zum Beispiel die Struktur der neuen Aufstellung, Werte in der gemeinsamen Kooperation, ein gemeinsames Verständnis über den Begriff Agilität und die Umsetzung: Our agile way of working" (momentan definiert jedes Team agile Arbeitsweisen und die "agile Haltung" für sich selbst). Des weiteren wurden unterschiedliche Ideen zur organisationalen Umsetzung diskutiert und bewertet, etwa die Frage, ob eine Aufstellung z.B. in Tribes überhaupt zum Rest der Organisation passt.
Die Ergebnisse lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:
- Im ersten Schritt soll ein strategisches Team gebildet werden, das keine disziplinarische Führung übernimmt, dessen Entscheidungen aber dennoch bindend sind.
- Die Führungskraft entwarf den (sehr) groben Rahmen für dieses Team, der auch die Grundlage für den Beginn des Prozesses bildete: In einem zweitägigen Workshop soll das Team die Ausgestaltung, die genauen Aufgaben und Verantwortungen sowie das Commitment zur gemeinsamen Arbeit entwickeln.
- Jedes Teammitglied kann über die Mitarbeit im Team selbst entscheiden.
Die Führungskraft wählte nach bestimmten Kriterien die voraussichtlichen Mitglieder des strategischen Teams aus. Dabei wurde darauf geachtet, dass alle Rollen und Fachlichkeiten vertreten waren. In einem holokratischen Ansatz hätte man die Mitglieder von ihren jeweiligen Teams wählen lassen können. Dieser Schritt wurde hier nicht gegangen - der kulturelle Bruch mit der Historie der Organisation schien noch zu groß.
Dass dieses Workshop-Format erfolgreich war, zeigt sich daran, dass die gesetzten Ziele erreicht wurden und alle Beteiligten motiviert in die Zusammenarbeit gehen.
Selbstorganisation ohne Hierarchie
Um die Entscheidungsfähigkeit im Team zu sichern, einigte man sich auf den Modus der "Einwandsentscheidung": Wenn es keine überzeugenden Argumente gegen eine Entscheidung gibt, gilt diese als getroffen. Der Abteilungsleiter hat sich ausdrücklich kein Veto-Recht vorbehalten.
Gleich zu Beginn des Prozesses wurde deutlich, dass die zentrale Herausforderung für die Beteiligten darin bestand, in einer durch und durch hierarchischen Organisation übergeordnete Verantwortung und Selbstorganisation ohne Hierarchie zu denken und zu übernehmen. Implizit geschieht das natürlich im Alltag oft, hier wird es jedoch ausdrücklich benannt und gestaltet. Durch die gemeinsame Gestaltung der Aufgabe war es den Beteiligten möglich, sich dieser Herausforderung zu stellen - mit allen daraus resultierenden Fragen: Wie reagieren die Abteilung und die anderen Bereiche auf uns? Werden wir wirkungsvoll und sowohl von den Mitarbeitern als auch den Führungskräften in dieser Rolle akzeptiert? Was tun wir wenn nicht?...
Ein zentraler Designfaktor in diesem organisationalen Change-Prozess ist die gelungene Kombination von agilen und klassischen Perspektiven - um einerseits eine spürbare Veränderung zu erzeugen, andererseits die Anschlussfähigkeit sowohl organisational als auch für die Mitarbeiter zu sichern.
Es wird spannend, den weiteren Prozess zu beobachten - und die dabei entstehende Veränderung des gemeinsamen Mind-Sets. Wir werden berichten!