07. Januar 16
Strategie – Der Dschungel der Begriffe
Vom Szenario zur Strategie. Ein Kompass durch den Begriffsdschungel: Szenarios – Wildcards – Optionen – Strategie – Planung
Der Begriff "Szenario" löst fast immer Verwirrung aus
Wir sind mitten im Strategieprozess. Nach einer Umfeldanalyse wurden Trends, über die keine geteilte Meinung zu erzielen war, zu kleinen, unterschiedlichen Szenarien verknüpft. "Wir müssen in unserer Strategie für jedes dieser Szenarien vorbereitet sein.", sagt die Geschäftsführerin. Der Controlling Chef meint: "Wir müssen uns für ein strategisches Basisszenario entscheiden." Die Vertriebschefin ist der Überzeugung, dass die Strategie damit eigentlich schon klar sei, weil das Szenario XY ja doch das Wahrscheinlichste ist und dann ein im Unternehmen bereits diskutierter Wachstumspfad die einzig "richtige" Antwort sei. Der technische Leiter meint, dass das alles nichts helfen wird, wenn die beiden größten Wettbewerber auf die Idee kommen, miteinander zu kooperieren um "uns aus dem Markt zu drängen".
Ich sage: "Moment! Lasst uns doch, bevor wir uns im nächsten Schritt mit der Entwicklung von strategischen Optionen befassen, kurz die Begriffe klären, damit alle wissen, wovon wir gerade reden."
Begriffswirrwarr ist in der Strategiearbeit allgegenwärtig. Es beginnt damit, dass so ziemlich alles, was jemand für wichtig hält, mit dem Wort "strategisch" geschmückt wird, völlig unabhängig davon, ob es tatsächlich eine Grundsatzfrage der Organisation betrifft. Wer kennt nicht "strategische Kunden", "strategische Projekte", "strategische Investitionen“? Trotz allem kann man mit diesem Beiwort ein Thema noch positiv mit Bedeutung aufladen.
Ein Sortier-Schema für die vier Begriffe
Der oben beschriebene Dialog im Rahmen eines Projekts hat mich angeregt eine kleine Tabelle zu zeichnen, in der ich die verschiedenen Begriffe zueinander in Beziehung gesetzt habe.
All die oben genannten Aussagen lassen sich hier schnell sortieren. Es geht ja allen Beteiligten um zukünftige Entwicklungen, aber immer aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei gibt es zwei Grundfragen: Erstens, geht es um Entwicklungen der Organisation selbst ("Innen") oder um Entwicklungen im Umfeld ("Außen"). Zweitens, kann man es selbst entscheiden, oder nicht. Entscheidung bedeutet hier, eine Selbstfestlegung zu treffen – "Da wollen wir hin!" bzw. "Das ist unsere aktuelle Annahme." -, auch wenn die konkrete Zukunft dann anders aussehen kann.
Szenarien
Die in dem Strategieteam erarbeiteten Szenarien betreffen das Umfeld und spannen insgesamt ein Feld möglicher externer Entwicklungen auf. Szenarioentwicklung dient der Öffnung und Sensibilisierung, sie sind nicht "entscheidbar", weil die ganze Übung ja genau darin besteht, wichtige und unsichere Faktoren in mehreren Entwicklungsvarianten durchzudenken. Die Geschäftsführerin hat einen berechtigten Wunsch, nämlich soweit möglich, für unterschiedliche Szenarien gewappnet zu sein – was allerdings häufig nicht möglich ist, weil zu teuer. Wenn der Controlling Chef die Entscheidung für ein Basisszenario einfordert, so denkt er dies schon mit.
Basisszenario
In einem Basisszenario sind jene Annahmen (!) über die externe Zukunft zusammengefasst, die in der strategischen Weiterarbeit als Grundlage dienen. Man kann und muss entscheiden, ob man in der weiteren Diskussion mit 1°, 2° oder 3° globaler Erwärmung rechnet, oder welches Marktwachstum man in der Branche insgesamt annimmt. Dabei werden im Strategieteam die zum aktuellen Zeitpunkt plausibelsten Einschätzungen zusammengefasst.
Strategie
beschreibt was eine Organisation anstrebt. Sie ist eine Selbstfestlegung auf bestimmte Ziele – im guten Strategieprozess nach der Diskussion unterschiedlicher strategischer Optionen, also unterschiedlicher möglicher Strategien. Die Vertriebschefin überspringt diesen Schritt der Entwicklung und Diskussion verschiedener Optionen, wenn sie aus einem Basisszenario unmittelbar auf nur eine einzige denkbare Strategie schließt.
Budget
ist die finanzielle Konkretisierung der Strategie für die nächste Planungsperiode. So wie alle anderen Planungselemente sind Budgets "einfach" entscheidbar. Dennoch bleibt die tatsächliche Zukunft unsicher, sie lässt sich nicht determinieren. Und wenn Budgets ganz exakt eingehalten werden, kann man durchaus auch misstrauisch werden, denn konkrete zukünftige Einzelereignisse lassen sich eben nicht vorhersagen.
"Wildcards"
Damit bezeichne ich "erschütternde" Ereignisse außerhalb des Basisszenarios. Der plötzliche Zusammenbruch der EU, oder ein nicht absehbarer Zusammenschluss wichtiger Wettbewerber, wie der Technikchef ins Spiel bringt. Es sind mögliche, aber zum Zeitpunkt der Diskussion als wenig wahrscheinlich eingeschätzte Zukunftsentwicklungen. Sie führen meistens zu "Katastrophenszenarien" deren Diskussion von den eigentlichen strategischen Grundfragen auch ablenken kann. Aber sie eignen sich gut, um zu einem späteren Zeitpunkt die eigene Strategie nochmals unter Risikoaspekten zu rütteln.
Gemeinsame Sprache als Mittel zum Erfolg
Strategiebegriffe im Detail zu definieren und zueinander in Beziehung zu setzen ist mit vielen Modellen möglich. Gerade deshalb ist in Organisationen im Normalfall davon auszugehen, dass es kein klares gemeinsames Verständnis dazu gibt. Wer nicht unnötig Zeit verlieren oder sogar eine auf Missverständnissen beruhende Strategie riskieren möchte, sollte sich für einen Klärungsprozess kurz aber fokussiert Zeit nehmen. Es geht ja nicht um das "richtige" Modell, sondern darum, dass jede und jeder im konkreten Strategieprozess das gleiche Verständnis hat.
…und wie sortieren Sie die Strategie-Welt?