28. November 17
The End of Competitive Advantage
Ist der gleichnamige Titel des Buches von Rita G. McGrath (2013) in dem sie die konzeptionelle Idee von Wettbewerbsvorteilen höchst kritisch hinterfragt.
"Your strategy is based on old assumptions."
Mit diesem Postulat bringt die Autorin auf den ersten Seiten auf den Punkt, was Millionen Führungskräften und klassischen Strategieberatungen das Leben heute schwer macht:
Die bewährten Modelle und Verfahren für strategische Entwicklungen werden der Dynamik heutiger Innovationszyklen und disruptiver Veränderungen nicht mehr gerecht. Sie greifen zu kurz - oder besser gesagt: Sie beruhen zu stark auf den Denkmodellen und Annahmen aus stabilen Verhältnissen und der Extrapolation von Erfahrungen aus einer ebensolchen Vergangenheit. Und - als wäre das noch nicht genug - sie sind viel zu langsam.
Die Ursachen
Die Innovationen der Digitalen Transformation (DX) - in der wir uns als gesamte Gesellschaft befinden - zeichnen sich dadurch aus, dass es selten wegen einzelner Technologien zu (disruptiven) Veränderungen kommt, sondern vielmehr durch die Kombination mehrerer Felder und Effekte:
- Anwendung und Vernetzung disruptiver Basistechnologien
Big Data, Künstliche Intelligenz, IoT, Robotik, Virtual/Augmented Reality, Biotechnologie u.a. bringen ein ungeahntes Potenzial und emergente Lösungen hervor. - Veränderung von Wertschöpfungsketten durch Digitalisierung, Unbundling und neuen Rekombinationen
Beispielhaft dafür sind die Veränderungen in der Musik-Produktion: von Vinyl zur physischen Distribution digitaler CDs über deren online Verfügbarkeit als MP3 auf Plattformen wie iTunes bis hin zu Streaming-Diensten wie Spotify. - exponentiell wachsende Leistungsfähigkeit neuer Technologien
Ein Phänomen, das heutzutage auf alle Technologien zutrifft, da ihre Leistungen entweder direkt oder indirekt mit der Leistungsfähigkeit von Computern einhergehen, welche wiederum nach "Moores Law" seit über 50 Jahren ungebrochen exponentiell anwächst. - rapide und massenhafte Veränderung von Kundenverhalten
Das markanteste Beispiel hierfür ist die Verbreitung von Smartphones - mit bereits über 2 Milliarden Usern - und die damit verbundenen Lern- und Gewöhnungseffekte an Apps, deren Usability oder Funktionen wie Social Media, Fotos, Navigation, Videos u.v.m. - Innovation von Geschäftsmodellen
Digitalisierte Prozesse und (teils) Produkte und Services haben völlig neue Geschäftsmodelle entstehen lassen. Musste ein Film früher im TV konsumiert werden (synchron) oder via DVD gekauft oder geliehen (asynchron), so wird er heute zunehmend online bezogen. Milliardenschwere Geschäftsmodelle wie jene von Netflix oder Amazon Prime Video existieren erst seit wenigen Jahren und waren davor unmöglich. - resultierende Redefinition wirtschaftlicher Ökosysteme
Was früher eher über geografische Cluster, Rohstoff-, Logistik-Ketten und Technologiekompetenz gebündelt war, verschmilzt in der digitalen Welt zusehends. "Data is the New Oil" lautet die neue Formel und Daten sind damit das entscheidende Zukunfts-Asset und Kern jeder Bündelung und neuen digitalen Dominanz.
Die Risiken und Konsequenzen
Das größte Risiko heute etablierter Organisationen ist die Formel "Erfolg mit Tradition". Diese verleitet nicht nur zu einer (zu) hohen Gelassenheit den Marktdynamiken gegenüber, sondern bringt auch die Illusion hervor, Erfolge der Vergangenheit wären gleichbedeutend mit einer beständigen Zukunftssicherung. Die deutsche Automobilindustrie war hierfür bis vor Kurzem noch ein markantes Beispiel.
Ein sehr tückisches Risiko ist die Fehleinschätzung der Situation auf Basis eines "kollektiven blinden Flecks" der Organisation. Die Führung hat dabei (noch) keine valide Einschätzung des Zukunftsbildes. Neue Phänomene werden schlichtweg übersehen, da sie noch zu unbekannt sind. Völlig neuartige bedrohliche Muster und Trends bleiben unerkannt. Sie können nicht als "relevant für eigene Veränderungen" selektiert werden.
Ein weiteres Risiko sind persönlich saturierte Entscheidungsträger, die tiefergreifende Veränderungen schwierig bis unmöglich machen, da sie den "Case for Action" (für sich) negieren. Es handelt sich hierbei zwar um Einzelpersonen, deren Macht- und Einflussbereich kann aber trotzdem für gewisse Zeit ganze Organisationsbereiche bezüglich eines Wandels lahm legen.
Zuletzt ist das Risiko einer mangelnden Reaktionsfähigkeit (Responsiveness) der Organisation zu nennen. Die Notwendigkeit, direkt und immer rascher auf wichtige Marktbewegungen zu antworten kann nicht geleistet werden. Dieser Trägheitseffekt ist meist durch langjährige Stabilitäten in den Umwelten (Märkte, Kunden und Produktportfolios) entstanden oder/und ein Nebeneffekt einer erhöhten Effizienzoptimierung des gesamten Systems, das dadurch kaum mehr kapazitive Reserven aufweist.
Lösungen und Chancen
Das Mindset und Kompetenzen-Portfolio von Führungskräften braucht ein "Upgrade". Im Minimum gilt es, für bestehende Führungssysteme eine (neue) Kompetenz und hinreichende Sensorik zu entwickeln, um DX-Dynamiken wie Innovationen und technologische Entwicklungen zu beobachten und diese völlig neuartig zu vernetzen. Die Digitale Transformation verlangt Organisationen aber auch ab, zu verschiedenen neuen Feldern und Effekten (siehe oben) Expertise aufzubauen. Neue Player müssen an Bord geholt und Skills entwickelt werden. Innovation erhält einen strategisch überlebenskritischen Stellenwert.
Gleichzeitig entwickeln erfolgreiche Organisationen in der DX laufend ihre Agilität und damit eine beschleunigte Reaktions- und Adaptierfähigkeit. Sie bauen die radikale Orientierung am Kunden laufend aus (Responsiveness).
Blockierende Phänomene - wie in den Risiken beschrieben - brauchen eine konstruktive Auflösung, um die Energie für die Umsetzung von Innovationsstrategien frei zu setzen. Das alleine ist bereits eine sehr anspruchsvolle Führungsherausforderung.
Summa summarum
Für die Mehrzahl etablierter Unternehmen liegt mit der Digitalen Transformation ein Veränderungsbedarf vor, der nicht mehr punktuell, sequenziell oder funktional separiert angegangen werden kann. Eine vernetzte, multiperspektivische Entwicklungsherausforderung ist zu lösen.
Die bewährten "Methoden der Vergangenheit" geraten dabei oft an ihre Grenzen. Neue Vorgehensweisen, Strukturen und Fähigkeiten sind gefragt: ein neues Mindset, geeignete Organisationskulturen und sogenannte "Agile Leaders".
Die Methoden und Erkenntnisse aus unserer Arbeit mit Kundinnen und Kunden sowie aus systemischer Forschung und Entwicklung stellen wir zur gezielten Bearbeitung in neuen Formaten zur Verfügung:
McGrath R. (2013): The End of Competitive Advantage, Boston (Harvard Business School Publishing)
Sie finden Jan A. Poczynek auch auf Twitter @poczynek