10. Februar 20
Change: Das Schwert der Brandrede ist stumpf
Herbert Diess hielt eine Sturmrede, um die Nokia-Erfahrungen zu vermeiden - so dramatisch beschrieb Gabor Steingart in seinem Morning Briefing den Auftritt des VW-Vorsitzenden vor seinem Management. Schonungslos deutlich habe er über die Notwendigkeit des Wandels in der Automobilwirtschaft gesprochen. Zwei Tage später hielt ihm Reinhard. K. Sprenger dagegen: Eine Brandrede sei unsouverän, fast schon hysterisch. Entscheider müssen in homöopathischen Dosen und optimistischer Absicht den Status quo infrage stellen. Und zwar permanent, am besten täglich. Wenn man stattdessen bruchhaft agiert und nur gelegentlich Brandreden hält, zeigt man, dass man diese zentrale Aufgabe nicht verinnerlicht hat.
Zwei Positionen und eine Frage: Sturmreden - was bewirken sie? Als Katholik habe ich die Wirkung von Reden schon als Kind auf dem Lande in der Eifel erlebt. Sonntags gingen wir alle in die Kirche und danach in die Kneipe. Spannend war die Veränderung der Aufmerksamkeit der älteren Jungs zu beobachten. Im mittleren Teil der Messe, der Predigt, war sie gänzlich verschwunden. Augen und Ohren waren nach innen gerichtet. Wie ich später erfuhr, hatte ihr Kopfkino alle Aufmerksamkeit absorbiert. Das laute "Amen" zum Ende der Predigt wirkte wie ein magischer Schalter, der sie schlagartig wieder in die kirchliche Wirklichkeit zurückholte. Richtig lebendig wurde es erst wieder in der Kneipe und das lag nicht nur am Pils.
Diese Beobachtung habe ich auch in vielen Unternehmen immer wieder machen müssen: Ein engagierter Vorsitzender hält eine zukunftsorientierte Rede, doch nach und nach wandert die Aufmerksamkeit der Zuhörer ins eigene Kopfkino. Manchmal schneller, manchmal langsamer, das Muster ist stabil. Trauriger Höhepunkt war ein Erlebnis mit einem CEO auf einer Führungsklausur, der die Abwanderungsbewegungen seiner Zuhörerschaft in die innere Welt bemerkte und deshalb immer lebendiger sprach. Doch je mehr er sich ins Zeug legte, umso mehr lehnten sich alle zurück. Das Schwert der Sturmrede war stumpf.
Manchmal denke ich, nur Väter und Mütter dürften Führungskräfte werden. Jugendliche zeigen ihren Eltern gnadenlos, was Predigen bewirken. Nützlich um Aufmerksamkeit zu erzeugen und um das Bisherige zu stoppen. Für mutige Veränderungen sind es andere Werkzeuge des Change-Managements, wie die konsequente Auswertung der Fortschritte oder die Aufrechterhaltung der ambitionierten Spannung. Hier schließt sich der Kreis zu R.K. Sprenger, denn diese Führungsaufgabe gilt es täglich zu leben. Einmal im Quartal schadet nichts, hilft aber auch nicht.