25. Januar 21
Die Logik der Anderen – eine Zumutung
"Ich verstehe dich" ist eine sehr mächtige Aussage. Sie impliziert, dass es gelungen ist, die Handlungslogik des Gesprächspartners wirklich verstanden zu haben. Ich finde das sehr anspruchsvoll, wenn mir jemand persönlich gegenübersitzt und ich konzentriert mit allen Sinnen zuhören kann. Schwieriger wird es, wenn der Gesprächspartner in einem ganz anderen Handlungskontext, z. B. in Asien, unterwegs ist und das Gespräch weder in der einen noch in der anderen Muttersprache, sondern in einer dritten Sprache geführt wird und zusätzlich das Medium der Bildschirm ist. In letzter Zeit häufen sich Aufträge, um Konflikte an Schnittstellen zu moderieren und ich frage mich, ist Verstehen die Regel oder die Ausnahme?
Vor Kurzem bat ein Vertriebsleiter am Ende einer Zoom-Konferenz seine Mitarbeiter*innen, ihr Verständnis der letzten 60 Minuten mit ihren eigenen Worten wiederzugeben. Die Vielfalt der Beschreibungen war sowohl faszinierend wie auch erschreckend. Jede*r hatte irgendwie etwas anderes gehört, gesehen oder auch gar nicht wahrgenommen. Die Annahme des Vertriebsleiters, ein gemeinsames Verständnis erreicht zu haben, entpuppte sich als Illusion.
Konflikte treten meistens erst dann auf, wenn es um die Umsetzung geht. Es ist ein mühevoller Prozess in solchen Moderationen, sich durch den Ärger, die gegenseitigen Schuldzuweisungen oder die schmerzhaften Enttäuschungen durchzuarbeiten, um schließlich bei der Kommunikation zu landen. Dann stellen die Teilnehmer*innen fest, wie wenig sie sich wirklich verstanden hatten. Zuhören alleine ist zu wenig.
Diese Problematik taucht an Schnittstellen innerhalb und außerhalb von Unternehmen immer wieder auf, wenn die Welten derjenigen, die hier in den Kontakt gehen, recht verschieden sind. Sie intelligent zu gestalten ist gar nicht trivial, denn die Gemengenlage ist komplex. Zum einen sind es die Unterschiede, die zu schaffen machen: Interessen, Bedeutungen, Bewertungen oder auch Handlungsoptionen.
Wir wissen, dass Vertrautes Vertrauen schafft und so das Einlassen auf etwas Fremdes risikobehaftet ist. Wir sind auf Analogien aus der uns bekannten Welt angewiesen, immer mit der Gefahr, das Neue nicht ausreichend erfassen zu können, weil wir doch wieder die Bestätigung im Vertrauten suchen. Wir nutzen persönliche Erfahrungen und Überzeugungen, was richtig und was falsch ist. Sie passen zur eigenen Welt, aber nicht unbedingt zur Logik der Anderen.
Die Kultur der Effizienz tut ihr übriges. Geschätzt wird, wenn in kurzer Zeit eine lange Themenliste abgearbeitet wird. Wie oft werden Fragen mit "Entschuldigung, ich habe noch mal eine Frage" eingeführt, als ob es unschicklich wäre, Verständnisfragen zu stellen. Wie häufig wird die Frage "any question?" als rhetorische Frage gestellt, aber eigentlich als Signal verwendet, das Thema abzuschließen?
Die Beschreibungen zur Gemengenlage sind noch nicht zu Ende, aber der Platz für einen Blogbeitrag. Wer mehr wissen möchte, dem kann ich das 2020 erschienene Buch "Die Logik der Anderen" von Klaus Doppler und Luyanda Mpahlwa sehr empfehlen. Die beiden beschreiben facettenreich mit den Perspektiven eines deutschen Beraters und eines afrikanischen Architekten, wie Verständigung gelingen kann, um zukunftsfähig zu sein.