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16. Juli 24

Digitale Transformation: Organisationsentwicklung als Erfolgsfaktor?

Viele Unternehmen erleben derzeit eine paradoxe Situation: Einerseits bedeuten die aktuellen Entwicklungen rund um künstliche Intelligenz, dass sich die digitale Transformation nochmals beschleunigen und Wertschöpfungsprozesse und Geschäftsmodelle noch grundlegender verändern wird. Andererseits haben viele Unternehmen zwar eine ganze Reihe von Digitalisierungsprojekten realisiert und auch Fortschritte erzielt, sind aber in diesen Projekten oft deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben.

Wie können Unternehmen und deren Führungskräfte klug mit dieser Paradoxie umgehen? Nach unserer Erfahrung kann ein Leitgedanke sein, dass es bei digitaler Transformation darum geht, neue Technologien einzuführen und gleichzeitig einen umfassenden und oft auch tiefgreifenden Prozess der Organisationsentwicklung anzustoßen und nachhaltig umzusetzen. Deshalb beinhalten etablierte Modelle zur Bestimmung der digitalen Reife von Unternehmen nicht nur Metriken zu IT-Ausstattung, Datenmanagement und Agilität, sondern insbesondere auch Indikatoren für eine Organisationsentwicklung in den Prozessen, im Kund*innenmanagement, in den Organisationstrukturen, in der Strategie und in der Teamfähigkeit.

Unsere Kund*innenprojekte liefern weitere, konkrete Orientierungspunkte, wie es gelingen kann, diese Organisationsentwicklung in den Fokus zu nehmen und konsequent anzugehen:  

1. Nachhaltige Führung und Engagement durch das Top-Management:

Die Digitalisierung erfordert eine grundlegende und fortgesetzte Entwicklung der eigenen Organisation – mit entsprechendem Einsatz an Ressourcen, Grundsatzentscheidungen und hoher Managementaufmerksamkeit. Das Top-Management sollte daher die treibende Kraft bei Digitalisierungsprojekten sein und bleiben. Das bedeutet, bei sich selbst und in der Organisation technologische Experimentierfreude und Lernbereitschaft zu erhalten und zu fördern, z.B. durch digitale Learning Journeys bei anderen Organisationen, und zugleich in die Organisationsentwicklung zu investieren, die eine Transformation der Strukturen, Prozesse, Managementsysteme usw. umfasst.

Aus der Praxis: Eine vom Top-Management gestartete Digitalinitiative verlor aufgrund anderer Themen mit der Zeit an Managementaufmerksamkeit. Daher wurde zunächst nicht erkannt, dass die "technische" Entscheidung des Digitalteams, ein CPQ (ein neues, vollautomatisiertes Tool zur Angebotsstellung) einzuführen weitreichende, nicht intendierte Konsequenzen haben würde, z.B. eine nachhaltige Schwächung des Vertriebs zugunsten des Engineerings. In einer Prozesssimulation mit über 60 Teilnehmer*innen wurde die neue Vorgehensweise nachgespielt und die Organisation konnte sich selbst dabei beobachten, welche Auswirkungen zentrale Entscheidungen haben. Das Management begab sich wieder in den "Driver-Seat" und konnte die nötige Transformation strategisch steuern und begleiten.

2. Know-how-Aufbau im Top-Management:

Um entscheidungsfähig zu bleiben, braucht es ein hinreichendes Maß an konkretem Fachwissen zur neuen Technologie/Software. Hier hat sich bewährt, dass eine Person aus dem Top-Management als verlässliche Wissensträger*in aufgebaut wird und den Kolleg*innen im Laufe des Digitalprojekts zur Seite steht. Eine Kombination aus externer Fortbildung und internen Wissensworkshops ermöglicht im Idealfall eine gemeinsame Sprache innerhalb der Organisation. Das Vertrauen des Digitalisierungsteams in die Antwortfähigkeit des Top-Managements ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass alle an einem gemeinsamen Zielbild arbeiten.

Aus der Praxis: In einem Projekt zur ERP-Implementierung (Enterprise Resource Planning) kam es immer wieder zu Verzögerungen, weil wichtige Entscheidungen aufgeschoben wurden. Das Management verfügte schlichtweg noch nicht über die erforderliche Expertise zu den neuen Technologien, um die Entscheidungen im Projekt kompetent treffen zu können. Daraufhin wurde zuerst ein externer Berater engagiert, der im Schnellverfahren die wichtigsten Konzepte und Fachtermini erklärte. Im Anschluss übernahm einer der Geschäftsführer die Schnittstellenfunktion zwischen Projektteam und Gesamtgeschäftsführung. Er war nach wenigen Wochen so tief in die Materie eingearbeitet, dass er die Anliegen des Projektteams verstand und entsprechend für seine Kolleg*innen übersetzen konnte. Die Entscheidungsfähigkeit des Top-Managements war wiederhergestellt und die Motivation im Projektteam auf einem neuen Hoch.

3. Standortbestimmung und gezieltes, strategiegeleitetes Vorgehen:

Digitalprojekte gehen oft mit einer Enttäuschungserfahrung einher. Sehr hohen Erwartungen, sich selbst und sein Geschäftsmodell durch digitale Technologien grundlegend erneuern zu können, stehen oft geringere Erfolge oder auch das Scheitern von Digitalprojekten gegenüber. Hier können eine strukturierte Standortbestimmung und eine realistische Zielplanung hilfreich sein: Wie hoch ist die digitale Reife aktuell? Was haben wir schon erreicht? Wo können wir konkret ansetzen, um die digitale Transformation weiter umzusetzen? Kann die digitale Initiative dann noch einen hinreichenden Beitrag zur Erreichung des strategischen Zukunftsbildes leisten?

Aus der Praxis: Ein Unternehmen hatte im Rahmen der Unternehmensstrategie eine "Digitale Transformation" ausgerufen, die zum Ziel hatte, den Anschluss an den Markt zu erlangen und die Versäumnisse der Vergangenheit wieder gutzumachen. Nach einem halben Jahr zeigte sich, dass es eine unüberbrückbare operative Lücke zwischen den großen Zielen und dem Status-quo gab. Das Projekt stand still. Um die Situation bearbeitbar zu machen, wurde die aktuelle digitale Reife des Unternehmens ausgewertet und der digitalen Reife gegenüberstellt, die nötig wäre, um das Zielbild zu erreichen. In einem Workshop mit dem gesamten Top-Management, dem erweiterten Führungskreis sowie den unternehmensinternen Expert*innen wurde daraufhin ein neues, ambitioniertes, aber machbares Zielbild definiert. Konkrete nächste Schritte für den Change-Prozess konnten abgeleitet und das Projekt fortgesetzt werden.

Wie die Praxisbeispiele zeigen, ist es den meisten Organisationen möglich, die erforderlichen Fähigkeiten zur digitalen Transformation – bei Bedarf beraterisch unterstützt – zu entwickeln. Dabei hat es sich als besonders hilfreich erwiesen, mit großer Sorgfalt ein realistisches Zielbild zu entwickeln und die erforderlichen Veränderungen auch im Top-Management zu verankern.

Weiterführende Quelle zu Modellen digitaler Reife:

Siehe beispielhaft die 2021 im Auftrag des Österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie erarbeitete "Metrik zur Erfassung des Digitalisierungsgrades in produzierenden Unternehmen"

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