15. März 16
Eigentum verpflichtet
Zur Situation der Vermögensübergabe in Familienunternehmen in Deutschland
Der 18. Kongress für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke hat sich vom 12.-13. Februar 2016 einem gesellschaftspolitisch besonders aktuellen Thema gewidmet. Durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stehen in Deutschland die bisherigen steuerlichen Verschonungsregeln für den Übergang von Firmenvermögen in Familienhand auf die nächste Generation weitgehend zur Disposition. Heftig wird in der Regierung wie in den einschlägigen parlamentarischen Gremien um die Frage gerungen, ob und wenn ja wie beim Erbfall in der Besteuerung zwischen dem frei verfügbaren Privatvermögen und dem in einem Unternehmen gebundenen, nicht fungiblen Betriebsvermögen unterschieden werden soll. Das ist für viele mittlere und größere Familienunternehmen in Deutschland eine Existenzfrage. Werden die bislang geltenden Verschonungsregelungen - wie im Moment vorgesehen - dramatisch verschärft, dann kann das auf längere Sicht das Aus von Unternehmen in Familienhand bedeuten. Die Zeit drängt. Nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber bis Mitte 2016 eine Lösung gefunden haben. Aufgrund erheblicher politischer Gegensätze ist allerdings eine solche Lösung im Moment noch überhaupt nicht absehbar. Das hohe Maß an Verunsicherung bleibt also aufrecht.
Grundprinzipien für die Übergabe von Firmenvermögen - wie es war
Eingebettet in diesen Kongress habe ich einen überaus gut besuchten Workshop betreut, bei dem ebenfalls ganz bestimmte Gerechtigkeitsfragen im Zentrum standen. Es ging allerdings nicht um die makroökonomischen, gesamtgesellschaftlichen Dimensionen des Erbens und Vererbens und deren Auswirkungen auf eine wachsende Ungleichverteilung von Vermögen in unserer Gesellschaft. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Frage, nach welchen Grundprinzipien Firmenvermögen in den Unternehmerfamilien heutzutage weitergegeben wird und ob es dabei überhaupt "gerecht" zugehen kann. Schon in "normalen" Familien ist der Erbfall in der Regel ein ganz heikler Einschnitt in das Beziehungsgeschehen der Mitglieder. Vielfach werden über Jahre unausgesprochene Erwartungen aufgebaut, wem was und wie viel im Übergang des Vermögens in die nächste Generation "zusteht". Massive Enttäuschungen mit schwerwiegenden Belastungen für das weitere familiale Miteinander sind inzwischen oftmals die Folge des familieninternen Vererbungsgeschehens.
Wenn es demgegenüber jedoch um das nicht fungible Unternehmensvermögen geht, das ja von Generation zu Generation nach Möglichkeit in Familienhand bleiben soll, dann gewinnen solche Übergänge noch weitaus komplexere Dimensionen. Über die Jahrhunderte haben sich für solche Anlässe ganz klare Regeln herausgebildet, etwa im Adel das Prinzip der Primogenitur in männlicher Abfolge, das dem Erhalt des Standes und der dafür erforderlichen materiellen Grundlage dieser Familien diente und vielfach bis heute noch dient. Ähnlich das Ältestenerbrecht in der bäuerlichen Familie, das die Lebensfähigkeit des familienwirtschaftlich betriebenen Hofes von Generation zu Generation sicherte. Diesen tradierten Regelwerken war in der Vergangenheit mehr oder weniger klar zu entnehmen, was im Erbfall wem zustand. Darüber musste in jedem Einzelfall familienintern nicht entschieden werden.
Analog dazu hat sich in vielen Familienunternehmen, die in den zurückliegenden zwei/drei Jahrhunderten in der modernen Wirtschaft entstanden sind, vielfach die Überzeugung durchgesetzt, dass Führung und Eigentum in einer Hand sein müssen. Familiengeführte Unternehmen können sich (dieser Prämisse folgend) nur dann gut entwickeln, wenn die Führungsverantwortlichen im Unternehmen auch über die Mehrheit am Eigentum verfügen. Sie müssen in jeder Hinsicht das "Sagen" haben. Dieser Grundgedanke rechtfertigt es, in der nächsten Generation bei der Vermögenszuteilung große Unterschiede zu machen. Grundprinzipien für die Übergabe von Firmenvermögen - was sich abzeichnet All diese Traditionen, die immer auf eine Einheit von Führung und Eigentum am Unternehmensvermögen abzielen, haben neuerdings sehr an Kraft verloren. Stattdessen gewinnen primär familienbezogene Gerechtigkeitsvorstellungen im Vermögensübergang zusehends an Bedeutung. In heutigen Unternehmerfamilien ist es wesentlich schwieriger geworden, Ungleichbehandlungen in der Familie allein mit Blick auf die Führbarkeit des Unternehmens zu rechtfertigen. Dies hat zur Konsequenz, dass sich die Nachfolgeprozesse in der Führung und jener bezogen auf das Firmenvermögen voneinander separieren und jeweils einer anderen Logik folgen: Was braucht das Unternehmen für seine Führbarkeit auf der einen Seite und was fördert den Zusammenhalt in der Familie auf der anderen Seite? Geht man im Generationswechsel diese getrennten Wege, dann gilt es im Gesellschafterkreis dafür Sorge zu tragen, dass geeignete Strukturen entstehen, die die unternehmerische Entscheidungsfähigkeit der nun deutlich komplexeren Eigentümerkonstellation sicherstellen. Das eine macht ohne das andere keinen Sinn.
Dazu zwei Praxisbeispiele am Wittener Kongress
All diese Aspekte des Übergangs im Unternehmensvermögen wurden im Workshop anhand von zwei recht konträren Fallbeispielen durchdiskutiert: Am Beispiel des Guts- und Forstbetriebes Colloredo-Mannsfeld in Sierndorf bei Wien (gegründet 1756), dargeboten durch den jetzigen GF und Inhaber Nikodemus Colloredo-Mannsfeld, sowie am Beispiel des auf Sicherheitsdruck spezialisierten Unternehmens Diagramm Halbach in Schwerte (gegründet 1832), repräsentiert durch den geschäftsführenden Gesellschafter Philipp Halbach. Im ersteren Fall hat man das Weitergabemuster der Primogenitur außer Kraft gesetzt, im zweiten, im Unterschied zu den Vorgängergenerationen, für Führung und Eigentum ganz unterschiedliche Wege beschritten. In beiden Fällen wurde deutlich, dass solche Übergänge zumeist von zum Teil schmerzhaften Konflikten begleitet werden und dass jede Familie ihre je eigene Lösung finden und sich dabei über ihre je eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen verständigen muss. Unsere Gesellschaft liefert dafür heute keine allgemeingültigen Vorgaben mehr. Diese Situation stellt die allermeisten Familien vor erhebliche Herausforderungen, nicht zuletzt auch deshalb, weil es sehr voraussetzungsvoll ist, in der Familie über die damit verbundenen wechselseitigen Erwartungen und Ansprüche offen zu sprechen.
Für weiterführende Fragen steht Ihnen Prof. Dr. Rudolf Wimmer gerne zur Verfügung.