07. Juli 20
Four strong winds - Change Trends in disruptiven Zeiten
Die Veränderungskompetenz von Organisationen zur Erhaltung ihrer Überlebensfähigkeit wurde in dieser ersten Phase der Corona-Krise intensiv wie selten zuvor einem echten Härtetest unterzogen. Und viele Unternehmen haben sich auf diesem Prüfstand wacker geschlagen, weil sie Arbeitskonzepte (Home-Office), Kommunikationspfade (Zoom, Teams, Skype, ...) und sogar Produktionslinien (von Creme zu Desinfektionsmitteln) schnell auf die aktuellen Bedarfe anpassen konnten.
Der größere Teil der Krise kommt aber erst noch, ihre mittel- und langfristigen Effekte sind noch schwer abschätzbar. Trotz funktionierender arbeitsmarktpolitischer Instrumente hierzulande wird es in vielen Branchen einen neuen und ernsten Überlebenskampf oder zumindest radikale Neuaufstellungen geben müssen. Das gilt natürlich ebenso für den Modus und die Inhalte wirkungsvoller Veränderungsbegleitung.
Auch zukünftig wird es primär darum gehen, die Organisation zu erneuern und dabei gleichzeitig für die notwendige Stabilität in ihren Leistungsprozessen zu sorgen. Aber die Fokusthemen werden sich verändern.
Wir möchten hier vier Trends für das Veränderungsmanagement skizzieren, die wir für interne und externe Organisationsentwicklerinnen und - entwickler sehen:
1. New Work als Veränderungsthema verliert seinen Hype-Charakter, bleibt aber bedeutsam. Initiativen müssen ihren Businessnutzen stärker unter Beweis stellen.
Was wird sich verstärken?
Ein integriertes konzeptionelles Verständnis wird auch weiterhin eine Grundvoraussetzung für gelingende Veränderungsprozesse zu "New Work" sein. Aber soll man diese Wege zu Formen der Selbstorganisation, agilen Organisationsdesigns, einer Kultur der Mindfulness etc. auch unter den bestehenden Unsicherheiten und dem steigenden Kostendruck gehen? Die Entscheidung hängt wohl mehr als bisher davon ab, ob es diese Neuausrichtung wirklich für das Business braucht oder dadurch andere existenzielle Vorteile entstehen. Vermutlich wird in vielen Unternehmen eher die Frage nach einem New Business dringlicher, deren Beantwortung eine intensive Beschäftigung des Führungssystems mit den drei relevanten Zeithorizonten Now / Next / Beyond für die zukünftige Entwicklung erfordert (siehe dazu auch den Beitrag von Lohmer & Hilse zu "Fast Adaptation" in diesem Newsletter).
Was braucht es weniger?
Es braucht keine generalistische oder auch missionarische Bewegung, die Unternehmen auf eine neue evolutionäre Entwicklungsstufe heben möchte und die sich bisher in manchen Fällen mehr oder weniger aus sich selbst heraus begründet hat. Es braucht meist auch keine flächendeckende Initiative zu Design Thinking und agilen Methoden, es sei denn, es handelt sich um ein primär agiles Organisationsdesign. Vor allem die Selbstorganisation mit ihren potenziellen Ressourceneffekten wird sich aber langfristig auf breiterer Fläche durchsetzen.
Für die interne und externe Beratung kann das bedeuten, gerade aus einer neutralen Rolle heraus die Balancierung von Explore und Exploit zu sichern und dem Kundensystem sehr viel mehr "On demand" zur Verfügung zu stehen, als dies bisher der Fall war.
2. Die kluge und wirksame Umsetzung von digitaler Technologie wird noch mehr zur Existenzfrage und drängt sich als Change-Thema weiter in den Vordergrund.
Was wird sich verstärken?
Alle inhaltlichen Fragestellungen der Digitalen Transformation haben durch die Krise einen zusätzlichen Energieschub erfahren. Vor allem virtuelles Arbeiten, der Aufbau international funktionsfähiger Kollaborationsstrukturen und die Etablierung leistungsstarker und akzeptierter ERP/IT-Systeme werden in den Unternehmen auch zukünftig und branchenübergreifend von hoher Bedeutung sein. Veränderungsprojekte dieser Form werden Rollen brauchen, die unabhängig von der Fachberatungsseite, interne Aushandlungsformate und Containment für die Anbindung von Führungskräften und Schlüsselspielerinnen und -spieler sichern.
Was braucht es weniger?
Vermutlich braucht es eine weniger intensive Beschäftigung mit der Entwicklung geeigneter Change-Stories, deren Purpose eine Vorbereitung auf zukünftige disruptive Entwicklungen ist. Diese Sinnhaftigkeit wird jetzt allen klar sein. In der Kommunikation wird es weniger um Akzeptanzmanagement als um Aushandlung des richtigen Weges gehen. Dafür angemessene Räume zu gestalten, rückt wieder mehr in den Vordergrund interner und externer OE. Und hier spielen virtuelle Räume eine viel größere Rolle als zuvor.
Praxisbeobachtung
Ein Unternehmen der Verbrauchs- und Industriegüterindustrie will seine europaweiten Vertriebsstrukturen im Rahmen einer Matrix neu aufstellen. Governance-Modell und Prozesse sind bereits weitgehend beschrieben. Changeberatung wird fokussiert dazu angefragt, die neue Steuerungsstruktur mit einem kollaborativen Framework zu unterstützen und die virtuelle Zusammenarbeit technisch, kommunikativ und inhaltlich zu unterstützen.
3. Im Change-Enabling wird es eine Shift vom "Measure & Report" zu einem persönlicheren "Communicate & Connect" geben.
Was wird sich verstärken?
Change-Enabling bedeutet in unserem Verständnis, das Führungs- und Organisationssystem fit für den Wandel machen und zwar:
- durch methodische Impulse, die dann in Selbstorganisation weiterlaufen (z.B. in agiler Methodik),
- durch die Qualifizierung von Schlüsselspielerinnen und -spieler in Change-Agent- oder Führungsrollen (durch begleitendes maßgeschneidertes Leadership Development),
- im Rahmen größerer Veränderungsprojekte auch durch Interims-Rollen (z.B. in der Leitung eines Change-Teams für eine Übergangszeit).
Dabei geht es zukünftig verstärkt darum, die Vernetzung von Stakeholdern zu sichern, deren Verbindung aufgrund etablierter Pfadabhängigkeiten intern nur schwer möglich ist. Dafür sind unabhängige Beobachtungen und Rückmeldungen an das Projekt eine hoch relevante Unterstützungsform.
Was braucht es weniger?
Gerade die Change-Abteilungen der klassischen Fachberatungen setzen in ihrer Interimsunterstützung vor allem auf Reportingstrukturen und Deliverables sowie eine Veränderungsbegleitung, die sich am Muster und Ablaufplan der PMO-Logik anlehnt. Was aber vielfach fehlt ist eine "echte Verbindung" von Personen im Sinne eines persönlichen Coachings. Hier sind vor allem erfahrene Kolleginnen und Kollegen gefragt, die sowohl glaubwürdig und anschlussfähig den sozialen Raum gestalten können als auch in die Rolle inhaltlich unabhängiger Sparringpartnerinnen und -partner für interne Geschäftsführung und Projektleitung schlüpfen können. Konfliktberatung wird auch in der Unterstützung neuer Rollen, z.B. "Product Owner" zu einem zentralen Mehrwert.
Praxisbeobachtung
Die IT-Einheit eines international operierenden Konzerns stellt im Zuge der Anpassung ihres Steuerungs- und Dienstleitungsverständnisses im Rahmen einer komplexen Veränderungsarchitektur ein Change-Team auf. Während des Projektverlaufes zeigt sich, dass die Leiterin dieses Change-Teams vor allem dann wirksam werden kann, wenn sie nicht umfassend in klassische Reporting-Routinen eingebettet ist, sondern ein starkes "Spielbein" für die Kommunikation und die Verbindung zentraler Stakeholder behält.
4. Die klassischen bereichsbezogenen Change-Initiativen wird es auch weiterhin brauchen, nur mit mehr Druck zu strategischer Einbindung und nachweisbarer Wirksamkeit. Lokale Führungsteams benötigen vielfach Unterstützung, um auf einer reflektierten Basis die richtigen Prioritäten zu setzen.
Was wird sich verstärken?
Eine Kulturentwicklung im Kundenservice, eine Transformation des HR-Verständnisses, der Aufbau einer Prozessoptimierung in einem Handelsbereich - all diese Initiativen werden sich verstärkt fragen lassen müssen, ob sie einen echten Mehrwert liefern und wie sie ihre Wirksamkeit nachweisen. Eine besondere Rolle wird dabei den Führungsteams zukommen. Diese werden auch im Sinne eines Stabilisierungsmanagements ihre Bereichsbedarfe an eine reflektierte Analyse von Zukunftsszenarien anknüpfen müssen.
Was braucht es weniger?
Es geht weniger darum, "einfach mal Bewegung zu erzeugen" und parallel unterschiedlichste Initiativen zu balancieren, sondern vielmehr die richtigen Impulse zu setzen und deren Wirksamkeit auch aufrecht zu erhalten. Dafür braucht es geeignete Aushandlungsformate mit echtem Diskurs in den Führungsteams.
Praxisbeobachtung
In einem Unternehmen der Konsumgüterindustrie werden im Kontext der Digitalen Transformation alle relevanten Units zu einem digitalen Joint Venture zusammengeführt. Eigentlich ein umfassender interner M&A-Prozess mit einer starken kulturellen Komponente in Richtung des Aufsatzes neuer Kollaborationsformen. In einem Step-by-Step Approach wird ausgehend von einem internen Referenzprozess die Vereinheitlichung vorangetrieben. Die Change-Beratung übernimmt die Rolle des neutralen Dritten, gibt Impulse für die Neuentwicklung der Kollaborationsformen und sorgt vor allem für eine Balancierung von Interessen und die Vermeidung blinder Flecken. Dabei geht es im Kern darum, das Vertrauen der Beteiligten zueinander und in den gemeinsamen Entwicklungsprozess zu stabilisieren.