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18. Juli 23

Führungsdialoge als Resonanzräume einer agilen Transformation

Situation

Ein renommiertes Unternehmen aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen befindet sich in einer agilen Transformation der Gesamtorganisation. Wie bei Veränderungen dieses Ausmaßes zu erwarten ist, werden kreative Kräfte geweckt, bisherige Vorgehensweisen und Organisationsprinzipien hinterfragt und auch erste Erfolge erzielt. Gleichzeitig steigt das Stresserleben in der Organisation und es "rüttelt" auf der Umsetzungsstrecke.

Bereits vor vielen Jahren wurde von der Personalentwicklung im Konzernverbund ein Format ebenen-spezifischer und cross-funktional zusammengesetzter Führungsdialoge aufgebaut. Dieses erweist sich nun als eine geeignete Resonanz- und Reflexionsplattform zur konstruktiven Thematisierung der Spannungen zwischen den Organisationsprinzipien.

Wie sind die Führungsdialoge aufgebaut?

Die Führungskräfte der oberen und mittleren Ebenen treffen sich zweimal pro Jahr für jeweils einen Tag inklusive informellem Beisammensein am Abend in ressortgemischten Gruppen, die aber stabil zusammengesetzt sind. Alle Gruppen werden mit externer Moderation und Impulsen begleitet. Der Autor unterstützt in diesem Fall die Führungsdialoge auf dem Top-Level des Konzerns unterhalb des Vorstandes. Die Themen eines Tages werden entweder vorab gesammelt und/oder es werden im klassischen Vorgehen eines kollegialen Austausches zu herausfordernden Führungssituationen Fälle gesammelt, die dann miteinander bearbeitet werden. Dabei werden z.B. Führungssituationen genannt ("Wie halte ich die guten Leute?") aber auch viele Themen zur Implementierung der agilen Organisation zur Verfügung gestellt ("Wie kann ich mit meinen Führungskräften und Mitarbeiter*innen die Umsetzung der nächsten Welle in meinem Bereich vorbereiten?").

Spannungsfelder und Paradoxien

Das Besondere: In den Dialogen treffen etablierte Entscheider*innen, die noch in einer klassischen Bereichslogik agieren, auf neu installierte Tribe-Leads. Die agile Logik und die bisherige Logik funktionaler Hierarchie-, Prozess- und Matrixstrukturen treffen aufeinander. Und das vor dem Hintergrund einer zunehmend in ihrem Kapazitätsbedarf überforderten Organisation. Einige Teilnehmende sind dabei nah am Zentrum der Transformationsaktivitäten, andere wie z.B. die Geschäftsführungen der Konzerntöchter oder auch die Führungskräfte des Vertriebs, sind relativ weit weg vom Umsetzungsgeschehen. Es entsteht damit ein Raum, in dem die Spannungen zwischen Explore- und Exploitorientierung der Organisation ausgehandelt werden (Tushman & O’Reilly, 2016). Die typischen Konfliktdynamiken können damit in einem politisch weniger aufgeladenen Umfeld besprochen werden:

Die Frage, ob die agile Transformation für alle Bereiche gleich gut umzusetzen ist und ob die Vorteile in allen Organisationseinheiten die Kosten überwiegen werden.

Der Umstand, sich als Top-Führungskraft gleichzeitig als Opfer und als Erneuerer der Organisation und Kollaboration zu sehen. Denn die agile Transformation setzt auch immer einen grundlegenden Wandel des eigenen Führungsverständnisses voraus und sucht nach Möglichkeiten, mit der eigenen Unsicherheit umgehen zu können.

Der Eindruck, dass sich Entscheidungsbedarfe "auftürmen", während gleichzeitig die Problemlösungskapazitäten der neu zuständigen Entscheidungsgremien begrenzt sind.

Führungsdialoge als "sicherer" Resonanzraum der Reflexion

Nun sind diese Fragen zu Spannungen und wahrgenommenen Paradoxien ja nicht erst in den Dialogveranstaltungen entstanden, sie waren vorher schon Teil der Verarbeitung, zumindest im Rahmen der informellen Kommunikation in den einzelnen Ressorts. Was aber in den Dialogen immer wieder gut gelingt, ist diese Themen frei von einseitigen Festlegungen in einer Haltung des "Sowohl – als auch" (vgl. Lewis & Smith, 2022) zu betrachten und gleichzeitig mehr Verständnis für die Komplexität einer solchen Transformation und die Notwendigkeit einer reflektierten Auseinandersetzung dazu zu wecken. Die Komplexität der Entscheidungsfindung wird bewusst, der wechselseitige Abgleich eröffnet neue Perspektiven. Schon in einem früheren Beitrag haben wir darauf hingewiesen, dass erfolgreiche Führungskräfte im Change sich durch ihre Fähigkeit, diese Achtsamkeit herzustellen und die Welt durch eine systemische Brille zu betrachten, besonders auszeichnen (Rowland, 2017). Dadurch entsteht mit der Zeit eine entscheidend größere interpretative Kompetenz und Sortiertheit im Umgang mit den eigenen Ambivalenzen und den zu erwartenden auftretenden organisationalen Paradoxien. Hierfür sind die Führungsdialoge der dazu passende Resonanzraum.

Erfolgsfaktoren für die Gestaltung und Begleitung der Führungsdialoge

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist vermutlich, dass das Format ursprünglich nicht als Begleitformat der Veränderung vorgesehen war, sondern der gut vorbereitete Raum und sein Situationspotenzial genutzt wurden, um zu den aktuellen Fragen der Transformation Orientierung zu gewinnen. Weitere förderliche Faktoren sind:

  • Die ressortübergreifende Durchmischung der Gruppen und die permanente Herstellung ihrer grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit aufgrund der Größe. Gruppen, die häufiger nicht getagt hatten oder eine sehr geringe Zahl von Teilnehmenden aufwiesen, wurden von Seiten der Personalfunktion konsequent auf andere Gruppen aufgeteilt.
  • Vertrauen und "entschleunigter" Dialog zu den Tiefenstrukturen der eigenen Wahrnehmungen, im Gegensatz zu den gefühlt atemlosen Review-Boards der operativen Realität.
  • Teilnahme aller relevanten Führungskräfte und Schlüsselpersonen an diesen Veranstaltungen, auch die der TOP-Ebene mit der entsprechenden Vorbildfunktion.
  • Die Möglichkeit, die Themen über Sprecher*innen der Gruppen wieder an den Vorstand zurückzumelden – als Beitrag zur fortlaufenden Organisationsentwicklung.

Unterm Strich halten wir die Einrichtung von Führungsdialogen dieser Form für sehr sinnvoll, um Veränderungen in Führung und Organisation kritisch, konstruktiv und lösungsorientiert zu begleiten. Divergierende Umwelterwartungen und interne Teilrationalitäten spitzen sich so nicht zu scheinbar unlösbaren Widersprüchen zu, sondern werden aus einer Metaperspektive heraus besser gestaltbar.

Literatur:

Groth, Torsten et al. (2021): New Organizing. Carl Auer Verlag.

Lewis, M. & Smith, W. (2022): Both/And Thinking: Embrace tensions to solve your biggest problems. Harvard Business Review Press.

Rowland, D. (2017): Still Moving - How to lead to mindful change. Wiley, Blackwell.

Schmiedinger, C. (2021): Agile Transformation. Carl Hanser Verlag.

Tushman, M & O`Reilly III, C. (2004 /2016): The ambidexterous Organization. Harvard Business Press.

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