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16. Juli 24

(K)eine Frage des Mindsets?

Warum die Mindset-Zuschreibung bei Widerstandsphänomenen im Change keinen Sinn macht.
Michaela Schweikert (osb international) in Zusammenarbeit mit Margit Leiß, Stabstelle Transformation, Dataport AöR

Im Beratungskontext rund um Transformation begegnet uns immer wieder die Frage: "Haben unsere Mitarbeitenden das richtige Mindset – und wenn nicht, was tun?" Manchmal hören wir auch den Vorwurf: "Die haben nicht das richtige Mindset! So kann das ja nicht klappen!" Als Beispiel wird dann das Modell Growth Mindset (Mindset Theory, Carol Dweck, Stanford) sehr simplifiziert verwendet, und den Beteiligten wird ein unflexibles, verfestigtes Mindset zugeschrieben. Damit meint man natürlich nicht sich selbst, sondern die jeweils anderen und sucht darin eine Erklärung für nicht gelungene Transformationen.

Dies erinnert an die etwa alle 15 bis 20 Jahre wiederkehrende Diskussion über die "richtige Organisationskultur". Auch hier gibt es immer wieder Anfragen, diese gezielt zu entwickeln (z.B.: "Wir brauchen eine Vertrauenskultur!"). Hier handelt es sich um eine mit der Mindset-Frage vergleichbare Steuerungsfantasie des Managements, nämlich den Traum, man könne Kultur oder eben Mindset in eine bestimmte Richtung bewusst und zielgerichtet gestalten und damit Steuerungsprobleme lösen (siehe Stefan Kühl "Organisationskulturen beeinflussen").

Die Beliebtheit dieser Personenzuschreibung lässt sich leicht erklären: Sie reduziert Komplexität in einem ohnehin sehr aufreibenden Alltag und nährt die Illusion, mit dem richtigen Mindset würden alle auch "das Richtige" tun, ohne dass man dann noch steuernd eingreifen müsse. Somit wären die Steuerungsprobleme gelöst und man müsse sich nicht mit einem tiefgehenden Organisationsverständnis befassen.  Mindset lässt sich allerdings nicht anweisen und auch nicht durch gutes Zureden erzeugen.

Unterstützt wird die Annahme, eine gewünschte Transformation gehe wegen der beteiligten Menschen nicht voran, durch diverse Angebote, genau dies zu bearbeiten. Da werden Reifegradmodelle angepriesen, die die Entwicklung zu "reifen" Menschen als Voraussetzung für erfolgreiche "reife" Organisationen fordern. Trends wie New Work und Agilität, die ganz unterschiedlich verstanden werden, werden zum Allheilmittel für alle Probleme der Organisation überhöht und erfahren dabei eine starke normative Aufladung ("Wir brauchen ein agiles Mindset!"). Oder es wird der Wunsch formuliert, die Organisation menschenzentriert zu gestalten und somit den "ganzen Menschen" in die Organisation zu holen – natürlich mit dem richtigen Mindset (ausführlich beschrieben in "The real Book of Work" von C. Grubendorfer und C. Ackermann).

Als Antwort darauf entstehen in vielen Organisationen Personalentwicklungsprogramme, Führungskräfte-Workshops, Mindset-Trainings usw., die die Entwicklung des richtigen Mindsets befördern sollen. Die Spannweite reicht hier von sehr nützlichen Angeboten, die durchaus die persönliche Entwicklung sowie die Kooperation und Kommunikation untereinander fördern können, deren organisationaler Nutzen allerdings oft unklar ist, bis hin zu Angeboten, die mit ihrer Einschwörung auf eine bestimmte Geisteshaltung fast schon an Sekten erinnern. Man könnte etwas zynisch sagen: In ruhigem Fahrwasser schadet das meist nicht.

In schwierigen und weitreichenden Transformationen und bei der momentanen Notwendigkeit ständiger Anpassung (Non-Stop-Change), die meist auch mit einem hohen Anteil an Unsicherheiten, gefühlten Verlusten und dem natürlichen Beharrungsvermögen der Organisation einhergehen (das dann als Widerstand gedeutet wird), lösen die Mindset-Zuschreibungen allerdings oft kontraproduktive Reaktionen aus:

  • Ärger, Empörung und Kränkung – "Wer beurteilt hier mit welchem Recht meine Geisteshaltung?" "Sind wir hier bei der Gesinnungspolizei?"
  • In der normativen Aufladung steckt hohes Kränkungspotential durch die Zuschreibung: Du bist nicht richtig, so wie du bist.
  • Hilflosigkeit und Unsicherheit – "Was wird eigentlich von mir erwartet?" "Was ist damit gemeint, was genau soll ich eigentlich anders machen/denken?"
  • Die Beschreibung eines Mindsets gibt noch keine Verhaltensanker, nach denen man sich richten kann. Zudem ist es nicht trivial, eine innere Haltung zu verändern. Das wissen viele aus eigener Erfahrung.
  • Zweifel am "inneren Kontrakt" mit der Organisation – "Dafür habe ich nicht unterschrieben!"
  • Wieweit will man sich sein Denken und Fühlen von der Organisation vorschreiben lassen? Wieviel muss man von sich "geben"?
  • Erkennen des Widerspruchs – "Wie soll ich in der alten Struktur neues Verhalten zeigen? Damit ecke ich doch überall an!"
  • Neues Verhalten löst in der Organisation erst einmal große Irritation aus – und bei vielen steht die innere Entscheidung, damit nicht als Erster/Erste zu starten.

Wir erleben als Effekt auf diese Zuschreibung oft einen Anstieg des Widerstands und der inneren Abkehr von der gewünschten Veränderung.

Zwei Fragen ergeben sich daraus für uns:

1) Was kann man anbieten, um die notwendige Veränderung voranzutreiben (und damit auf lange Sicht den Beteiligten zu ermöglichen, ihr Mindset zu verändern – das geht nämlich nur aus eigenem Antrieb)?
2) Wie kann man mit den Führungskräften in eine konstruktive Diskussion darüber kommen, dass "Mindset" sich nur verändern kann, wenn sich Rahmenbedingungen (Strukturen, Prozesse, Rollen, Kompetenzen, Regeln, Zusammenarbeitsmodelle, Tools uvm.) verändern? Und zwar so, dass wir die Menschen in unserer Organisation in die Lage versetzen, Verantwortung für ihren Teil, aber auch mit Blick auf das Ganze, zu übernehmen, ihre Spielräume sinnvoll zu nutzen, sich zu vernetzen, um im Sinne des Organisationserfolges zu handeln?

Die Antwort auf die erste Frage liegt auf der Hand, sie bietet allerdings keine "silver bullet", keine Abkürzung zur schnellen Transformation. Nach wie vor halten wir es für wirksam, mit Führungskräften und Teams auf den unterschiedlichen Ebenen gemeinsam an den sehr konkreten Fragen der Veränderung zu arbeiten – gemäß der Prämisse "kein Change ohne Inhalt":

  • Was genau soll anders werden – bezogen auf Strukturen, Prozesse, Entscheidungen, Kommunikation und vor allem auf der Verhaltensebene? Was genau sollen/wollen wir morgen anders als heute machen? Wie sieht das aus? Welches Verhalten ist dafür notwendig?  Dass die Klärung der Frage des "Warum und Wofür" dafür Voraussetzung ist, ist inzwischen wohl selbstredend.
  • Darauf basierend werden den Beteiligten wirksame Methoden der Selbstbeobachtung auf unterschiedlichsten Ebenen zur Verfügung gestellt, um das anfängliche Zurückfallen in gewohnte Routinen und Verhaltensmuster frühzeitig festzustellen und dann gegenzusteuern – um neue Routinen zu erlernen.

Dabei sollte das Wort "Mindset" durch das Wort "Verhalten" ersetzt werden: Verhalten ist konkret beschreibbar, willentlich veränderbar und etwas, dass die Organisation mit Fug und Recht von ihren Mitgliedern in bestimmter Art und Weise erwarten darf.

Zur zweiten Frage laden wir Sie auf ein Gedankenexperiment ein, das wir mit einer großen Gruppe von Führungskräften im IT-Sektor durchgeführt haben:
Mal angenommen, alle hätten das richtige Mindset und wir würden uns darauf verständigen, dass wir die Ziele von Scrum für die Scrum-Teams zwar verfolgen, den ganzen "Firlefanz" der streng festgelegten Prozesse, Rollen, Timeboxing, usw. aber nicht mehr brauchen.

  • Wie wahrscheinlich ist es, dass wir die Ziele trotzdem erreichen?

Keiner der Anwesenden – bis dahin starke Verfechter des Konzepts "Alles eine Frage des Mindsets" – glaubte, dass es auch ohne das Framework zuverlässig funktionieren würde.

 

Quellen:

Stefan Kühl, Organisationskulturen beeinflussen: Eine sehr kurze Einführung, Springer VS, 2018

Christina Grubendorfer, Christina Ackermann: The Real Book of Work: Organisationen in Not. Warum wir umdenken müssen, um sie in die Zukunft zu führen, Vahlen, 2023

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