Kontakt
logo

14. Mai 24

Mit Voraussicht und aktiver Planung zur nachhaltigen Organisation

Nachhaltigkeit ist in zahlreichen Organisationen der theoretischen Diskussion entwachsen und Teil der organisationalen Realität geworden. Ein wichtiger Motor für diese Entwicklung ist zweifellos die EU-Richtlinie "Corporate Sustainability Reporting Directive" (CSRD), die ab 2026 ca. 15.000 Unternehmen in Deutschland zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet.[1]

Der Anspruch, Organisationen nachhaltiger zu gestalten, ist aber auch jenseits regulatorischer Anforderungen deutlich spürbar. Doch wie kann der Weg zu mehr Nachhaltigkeit gelingen? Wie können sich Organisationen für diese Transformation aufstellen?

Was bewirkt proaktive Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit in eine Organisation zu bringen ist (zumindest) ein Dreikampf: Es gilt die Dimensionen der ökonomischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, wodurch gewohnte Routinen zur Bearbeitung komplexer Zielkonflikte[2] an ihre Grenzen stoßen. Gleichzeitig soll auch die Anforderung der intergenerativen Gerechtigkeit[3] – wie sie dem Nachhaltigkeitsgedanken immanent ist – berücksichtigt werden. Das birgt Überforderungspotenzial in sich.

Um Komplexitäten zu reduzieren, laufen Nachhaltigkeitsinitiativen daher oft nur als Begleiterscheinung der Organisation mit. Umfangreichere, risikobehaftete Investitionen in Nachhaltigkeit werden somit häufig unterlassen, nicht zuletzt aufgrund der Annahme, dass sie von der Nachfrageseite des Marktes nicht honoriert werden und der Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil einbringen.

Sollte aber nicht gerade hier der Gedanke der ökonomischen Nachhaltigkeit greifen? Also der Blick auf den Fortbestand der Organisation über den nächsten Bilanzstichtag hinaus gehen?

Um Verständnis für die Sinnhaftigkeit der vorausschauenden Integration von Nachhaltigkeit in organisationale Routinen zu gewinnen, zunächst ein kurzer Blick zurück: Dieser zeigt, dass gerade dort, wo ein Marktversagen vorliegt, wie bei der Nicht-Internalisierung externer Effekte, regulatorische Eingriffe vorgenommen werden. Zertifikate, z.B. für CO2-Emissionen, sind eine mittlerweile etablierte Ausprägung dieser Eingriffe.

Weitere Beispiele sind Anforderungen zur Schaffung von Ausgleichsflächen bei vorgenommenen Flächenversiegelungen, Biodiversitätsvorgaben oder ein Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Darüber hinaus fordert die BaFin in der 7. Novelle der Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Banken (MaRisk) die Berücksichtigung von ESG-Ratings[4] ein – mit entsprechender Auswirkung auf die Finanzierungsseite von Organisationen.[5]

Wird diese Entwicklung regulatorischer Eingriffe weitergehen?

Die Antwort liegt auf der Hand: Angesichts der fortschreitenden Annäherung an ökologische und soziale Kipppunkte (beispielhaft wiedergegeben über die Betrachtung der Planetary Boundaries – gemessen auf nationaler Ebene[6]) ist mit weiteren Eingriffen zu rechnen.

Hinzu kommt, dass bei zunehmender Akzeptanz der Notwendigkeit von Nachhaltigkeit auch Marktkräfte auf der Nachfrageseite ihre Wirkung entfalten: Elektromobilität, grüne Stromversorgung, Biolebensmittel, Up- und Recyclingprodukte oder Öko-Reisen erfreuen sich wachsender Nachfrage.

Wir sehen also zwei Kräfte, die mit zunehmender Intensität auf Organisationen einwirken. Die intrinsische Motivation von Organisationen und ihrer Entscheidungsträger, sowie deren persönliche Betroffenheit kommt als dritte Triebfeder für eine verstärkte Nachhaltigkeitsorientierung hinzu.

Ist es dann nicht angebracht, sich im Sinne der ökonomischen Zukunftsfähigkeit der Organisation vorausschauend für erwartbare Nachhaltigkeitsanforderungen aufzustellen?

Für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsorientierung sind explizite Entscheidungen und Handlungen erforderlich. Denn um im Kräftefeld der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit wirksam und erfolgreich zu sein, wird letztlich eine klare Orientierung und Navigation benötigt. Bei dieser Entscheidungsfindung sind Familienunternehmen im Vorteil, da ihnen der intergenerative Ansatz näher liegt.

Was ist zu tun?  Was sind erste Ansatzpunkte?

Unternehmensstrategie

  • Es braucht ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit, das auch in der Formulierung der übergeordneten Strategie der Organisation seinen Ausdruck findet[7].
  • Dieses Anliegen findet auch Eingang in die Zweckbestimmung der Organisation, in ihren Purpose.
  • Dafür ist eine grundlegende, strategische Entscheidung zu treffen, wieweit die Maxime der Nachhaltigkeit die Organisation mitdefinieren soll.

In der osb-i unterscheiden wir für die Integration der Nachhaltigkeitsmaxime in die Organisation vier Grundtypen:[8]

  1. Schaffung von Transparenz, z.B.  gemäß CSRD
  2. Optimierung bestehender Geschäftspraktiken
  3. Strategische Teiltransformation des Geschäftsmodells
  4. Innovation / Neuerfindung des gesamthaften Geschäftsmodells

Dabei ist eine schrittweise Integration möglich. Diese sollte aber frühzeitig in einer orientierungsstiftenden Roadmap mitgedacht werden.

Organisationsdesign

Mit einer Definition der strategischen Ausrichtung als Rückgrat können die einzelnen Felder des Organisationsdesigns im Sinne der avisierten Integration der Nachhaltigkeit gestaltet werden.[9]

Aus unserer Sicht ist für eine gelebte Nachhaltigkeit, die über ein reines Reporting hinausgeht, die (Neu-)Aufstellung von Entscheidungs- und Steuerungslogiken der ausschlaggebende Erfolgsfaktor.

Nachhaltigkeit muss zur integrierten Dimension der Entscheidungs- und Steuerungsroutinen werden. Auf die alleinige Definition von Nachhaltigkeitsregeln, z.B. in der Formulierung eines Code of Conduct zu setzen, ist angesichts der erforderlichen Radikalität der Änderungen von Denk- und Verhaltensmustern nicht nur unzureichend, sondern geradezu naiv.

Um neben der bekannten Dimension der Wirtschaftlichkeit die soziale und ökologische Nachhaltigkeit als weitere Dimensionen in die Steuerungs- und Entscheidungslogiken zu integrieren bietet das "True Cost Accounting" einen vielversprechenden Ansatz.[10]

Kosten des sozialen und ökologischen Handelns – ob Einmal-Investitionen, laufende Kosten oder Folgewirkungen außerhalb der Organisation – finden dabei Eingang in die organisationsinterne Bepreisung.

Die Arithmetik der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung bleibt erhalten, wird aber "lediglich" um die entsprechenden Inputdimensionen erweitert. Wenn bisher Ersatzteile mit Neubeschaffung gleichgesetzt wurden, können nun aufgearbeitete Altteile eine Alternative sein. Der Business Case der Kreislaufwirtschaft bekommt dadurch eine zusätzliche Schärfung.

Damit verbunden ist aber auch ein immenser Aufwand. Gerade dann, wenn Kostenrechnungen sowie Produkt- und Preiskalkulationen parallel gepflegt werden müssen, entsteht ein Zusatzaufwand, der gerne auf später verschoben wird, bis Accounting- und Reporting-Anforderungen keinen weiteren Aufschub mehr erlauben.

Kann aus der zusätzlichen Transparenz nicht gleich ein Anstoßeffekt für die Neuausrichtung eines "Mindsets Nachhaltigkeit" hervorgehen? Kann so der Blick auf relevante Optimierungs- und Innovationsoptionen, die die Wirtschaftlichkeit von morgen unterstützen, geschärft werden?

Neben dem Fokus auf die Steuerungs- und Entscheidungslogiken gilt es bereits im Organisationsdesign auf zwei weitere Felder zu achten:

Welche horizontalen Verbindungen in der Organisation sind aufzubauen bzw. zu stärken, um der cross-funktionalen Bedeutung des Themas gerecht zu werden? Ob unterstützend oder in Kernprozessen an der Wertschöpfung der Organisation beteiligt, Nachhaltigkeit bedarf einer hohen funktionalen Integration. Diese gilt es aktiv mittels geeigneter Rollenklärungen, abgestimmter Kommunikation und passender Prozesse zu gestalten.

Im Zuge dessen ist auch das nächste Feld zu klären: Die Positionierung und Verantwortungsbeschreibung eines Nachhaltigkeitsmanagements in der Organisationsstruktur. Zentrale, dezentrale Lösungen und entsprechende Mischformen sind möglich, soweit sie berücksichtigen, dass Nachhaltigkeit zu leben nicht delegiert werden kann.

Die Nicht-Delegierbarkeit gibt einen ersten Hinweis darauf, wie wichtig die Einbeziehung des Nachhaltigkeitsgedankens im Zusammenhang mit sämtlichen Personalthemen ist – z.B. die Berücksichtigung spezifischer Skills im Leadership Development oder Recruiting.[11]

Und wann ist es Zeit für den nächsten Schritt?

Jede Organisation steht absehbar vor der Frage, wann und wie Nachhaltigkeit in die laufenden Handlungsroutinen aufgenommen werden sollen.

Die notwendigen Veränderungen aus eigenem Antrieb anzustoßen – statt aus einem regulatorischen Imperativ heraus angestoßen zu werden – schlägt sich vielfach positiv in den Veränderungsaufwänden nieder. Zudem ist der Zeitpunkt des Einflusses auf die organisationale Performance dann noch frei wählbar.

Die hier beschriebenen drei Felder des Organisationsdesigns – Entscheidungs- und Steuerungslogiken, horizontale Verbindungen und Organisationstruktur – sind dafür erste Ansatzpunkte, basierend auf einer bewussten, strategischen Entscheidung der Organisation zur Entwicklung der Nachhaltigkeitsausrichtung.  Für ein frei gewähltes "Können" – statt einem späteren "Müssen".

 

[1] https://www.ihk.de/rhein-neckar/gruendung/finanzierung/green-finance/nachhaltigkeitsberichtserstattung-5554376#:~:text=Unternehmen%2C%20die%20mehr%20als%20500,über%2020%20Millionen%20Euro%20beträgt.

[2] THE SUSTAINABILITY TRIANGLE OF THE THREE CONFLICTING PLANNING GOALS, Campbell and Fainstein, 2003 – ähnlich zu Connelly’s mapping of sustainability (Ops: Growth als ökonomisches Normativ)

[3] Our common Future, Report to the United Nations, 1987, Brundtland Report.

[4] https://www.esgvolution.com/de/esg/loesungen/rating/#:~:text=von%20ESG%2DRatings-,Was%20sind%20ESG%2DRatings%3F,die%20Unternehmensführung%20betreffender%20Faktoren%20vorgenommen.

[5] https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2023/meldung_2023_06_29_BaFin_veroeffentlicht_siebte_MARisk_Novelle.html

[6] goodlife.leeds.ac.uk/national-snapshots/countries/ (bespielhaft hier der Vergleich Deutschland - Indien)

[7] Ein Impuls hierzu: https://www.osb-i.com/de/vorschau/?tx_wxosb_preview%5Baction%5D=detail&tx_wxosb_preview%5Bcontroller%5D=Preview&tx_wxosb_preview%5BinsightUid%5D=1047&cHash=3b6b5d4fa7cb91e102182217b88b8436

[8] https://miro.com/app/board/uXjVN5JjfJw=/

[9] https://www.osb-i.com/fileadmin/user_upload/osb_Organisationsdesign_Navigator.pdf

[10] Hinweise für Steuerungsdimensionen gibt https://www.kateraworth.com/doughnut/

[11] https://innerdevelopmentgoals.org/framework/

Mehr zum Thema

  • 23. Mai 23 ─ Lesezeit: 1 Min.
    Dr. Simone M. Ostermann
    Simon Batt-Nauerz

    Episode 16 - Nachhaltigkeit - aber wirklich

    In dieser Folge spricht Simone Ostermann mit Simon Batt-Nauerz, Leiter des Geschäftsbereichs…

  • 23. Mai 23 ─ Lesezeit: 3 Min.
    Dr. Thomas Neuber
    Gina Rüther

    Steuerung in Richtung Nachhaltigkeit

    Die regulatorischen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit nehmen immer weiter zu. Die zum Teil…

  • 17. Dezember 10 ─ Lesezeit: 1 Min.
    Univ. Prof. Dr. Rudolf Wimmer

    Was macht Unternehmen nachhaltig erfolgreich?

    Evolutionstheoretische Zugänge zu Fragen der Lernfähigkeit von Organisationen

  • 23. Mai 23 ─ Lesezeit: 4 Min.
    Dr. Torsten Schmid
    Caroline Kling

    Ecosystem Fitness: Business Ökosysteme als Frage des Organisationsdesigns

    “An organ cannot prosper in a dying body”. Mit diesen Worten mahnte der Managementvordenker Peter…