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14. Mai 24

Produktmanagement im Spannungsfeld von Techno-Push und Market-Pull

Steve Jobs war ein Visionär. Die Lösungen, die er bei Apple, NeXT oder Pixar mitentwickelte und anstieß, eröffneten Kund*innen[1] Möglichkeiten, an die sie vorher gar nicht gedacht hatten. Er steht beispielhaft für einen Pol in einem uns häufiger begegnendem Organisationskonflikt: Techno-Push versus Market-Pull. Geniale Erfinder*innen und Ingenieur*innen, die mit neuen Technologien und innovativen Ideen Märkte schaffen auf der einen Seite. Vertrieb, Kundendienst und weitere kundennahe Bereiche auf der anderen. Sie kennen die (aktuellen) Kund*innen und ihre artikulierten Bedürfnisse. Diesen Anforderungen müssen neue Produkte und Produktgenerationen gerecht werden, um am Markt Erfolg zu haben.

In Organisationen brechen hier immer wieder heftige Konflikte aus. Es gibt Rufe nach klarer Priorisierung. Wer hat hier Vorrang?

Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung. Beide können richtig oder falsch liegen: Apple hat auch unter Steve Jobs Führung schmerzhafte Produktbauchlandungen hingelegt.[2] Und Harvard-Forscher Clayton Christensen hat empirisch gezeigt, wie der Fokus auf Kundenwünsche in den Abgrund führen kann.[3]  

Es geht also darum, beide Perspektiven in einen produktiven Diskurs zu bringen. Echte Innovation zu fördern und gleichzeitig sicherzustellen, dass Produkte und Dienstleistungen marktgerecht bleiben. Am Ende des Tages geht es nicht um klare Vorrangregelungen, sondern um eine Organisationslösung, die den sinnvollen Konflikt immer wieder aufkommen lässt – und zu gemeinsamen Lösungen führt.

Wir haben im Folgenden, entlang unseres osb-i Modells für Organisationsdesign, einige Fragen gesammelt, die dabei helfen können, gute Gestaltungsentscheidungen für das Dilemma "Techno-Push vs. Market-Pull" zu treffen. Damit wird hoffentlich deutlich, dass das hinter der Case Frage – "Wo soll Produktmanagement aufgehängt, also strukturell zugeordnet werden?" – liegende Thema viele Antwortmöglichkeiten auch jenseits von Organisationsstrukturen hat.

In jeder Gestaltungsdimension des Organisationsdesigns gibt es Stellhebel, um die Balance zwischen diesen Perspektiven zu fördern. Zur Anregung hier einige bewährte Ansätze aus früheren Projekten:

Dimension Steuerung

In dieser Organisationsdimension lautet die Kernfrage, wie und durch wen Entscheidungen über die Entwicklung von neuen Produkten, größere Produktveränderungen oder die Gestaltung des Leistungsportfolios ingesamt getroffen werden.

Beispiel: Einrichtung eines interdisziplinären Innovationsboards bestehend aus Führungskräften der Bereiche Entwicklung, Produktion/Technologie und Vertrieb: In diesem Board berichtet man einander wechselseitig über neue Technologien, Markttrends und Kund*innenfeedback. Entscheidungsvorlagen für neue Projekte und Produktanpassungen werden mit gemeinsam definierten Kriterien bewertet, die die verschiedenen Perspektiven – Kund*innenbedarf und Marktrelevanz, Innovation, technische Machbarkeit, Finanzen, etc. – berücksichtigen. Anschließend wird idealerweise per Konsens entschieden.

Dimension Geschäftsprozesse

Auch nach einer Grundsatzentscheidung am Beginn eines Produktentwicklungsprozesses (PEP) gilt es, laufend zu priorisieren und gegebenenfalls die Produkt- oder Leistungsspezifikation anzupassen. Besonders bewähren sich hier agile Methoden, die von vornherein eine regelmäßige Überprüfung des Gleichgewichts zwischen Kundenanforderung und interner Innovationsperspektive vorsehen.

Beispiel: Agile Entwicklung mit cross-funktionalen Teams: Teams aus verschiedenen Bereichen (Entwicklung, Design, Vertrieb, Marketing) arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Durch den ständigen Austausch und die enge Zusammenarbeit in diesen Teams werden Produkte entwickelt, die sowohl technisch ausgereift als auch marktgerecht sind. Diese Teams werden von einem Agile Coach begleitet, der darauf achtet, dass beide Seiten gleichermaßen Gehör finden und Konflikte moderiert.

Erste Schritte in der Gestaltung

Zusammengefasst erfordert die Gestaltung eines Organisationsdesigns, das den Widerspruch zwischen Entwicklung/Technologie und Vertrieb/Business erfolgreich managt, eine Berücksichtigung beider Perspektiven in allen Organisationsdimensionen.

Ein guter erster Schritt wäre eine Bestandsaufnahme, um zu verstehen, wo genau die Herausforderungen und Konfliktfelder zwischen den Bereichen liegen. Dabei sollten Führungskräfte und Schlüsselpersonal aus beiden Bereichen an einem Tisch sitzen. Auf Basis dieser Erkenntnisse kann die interdisziplinäre Arbeitsgruppe konkrete Veränderungsimpulse entwickeln, die zur eigenen Organisation passen. Die Gestaltungselemente des Organisationsdesigns des osb-i Modells können hier zur Orientierung und Anregung dienen.

 

[1] Mit Kunden sind in diesem Artikel primär Organisationen und Unternehmen gemeint. Wenn wir eindeutig Einzelpersonen meinen, gendern wir.

[2] Eine kurze Websuche nach "Apple Fails" bringt vergnügliche Listen davon zu Tage. Z.B. https://startuptalky.com/apple-failed-products/

[3] Christensen, Clayton M. The Innovator's Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail. Boston, MA: Harvard Business School Press, 1997.

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