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17. Oktober 23

Realität ersetzt Science-Fiction: Führen im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz

Welche Auswirkungen hat die fortschreitende Entwicklung der generativen Künstlichen Intelligenz (KI) auf Führungskräfte und ihre Arbeit in Organisationen? Wie beeinflussen die Möglichkeiten, die durch KI-Lösungen wie Tools, Software und Systeme entstehen, das zukünftige Aufgaben- und Prioritätenportfolio in der Führung? Wie kann eine harmonische Beziehung zwischen Künstlicher Intelligenz, dem Führungssystem und Teamstrukturen entwickelt werden?

Aktuelle Situation: Zunehmende Anwendungsbreite von KI-Lösungen

Wir stehen in der Herausforderung, dass hoch entwickelte KI-Lösungen immer verbreiteter werden, während das Bewusstsein und der Diskurs über die systemischen Konsequenzen und den Umfang der KI-Implementierung in Organisationen noch begrenzt sind. Künstliche Intelligenz ist die Schlüsseltechnologie für die europäische Wirtschaft. Sichtbar wird das beispielsweise durch wachsende Investitionen in Unternehmen und eine thematische Konzentration in der internationalen Forschung. Die aktuelle Trendstudie der Deutschen Gesellschaft für Personalführung "Generative Künstliche Intelligenz in der Unternehmenspraxis 2023" stellt heraus, dass aktuell 28 Prozent der in dieser Studie befragten Unternehmen die Technologie erkunden oder bereits anwenden. Auch öffentliche und politisch regulierte Organisationen setzten sich mit der Technologie aktiv auseinander: Alle deutschen Ministerien oder ihre entsprechenden nachgeordneten Behörden erproben aktuell Anwendungen.

KI-Einsatz stärkt Produktivität und Qualität

Doch was sind die Treiber hinter dieser Entwicklung? KI-Lösungen bieten auf drei Ebenen Unterstützung und ermöglichen in erster Linie Produktivität und Konzentration in Zeiten von Ressourcenknappheit. Bei der genaueren Betrachtung der Einsatzfelder von KI wird deutlich, dass KI-Lösungen auf der Prozessebene, auf der Personalebene und auf der Geschäftsmodellebene ihre Wirkung entfalten können. Sie beschleunigen Prozesse und schonen Ressourcen, während gleichzeitig die Genauigkeit und Qualität der Analysen steigt. Auf der Personalebene reduzieren sie potenzielle Fehlentscheidungen, verbessern den Zugang zu Wissen und Erfahrungen und ermöglichen eine effektivere Priorisierung der Aufgaben z.B. mithilfe von KI-basierten Assistenzsystemen. Auf der Ebene der Geschäftsmodelle entstehen Möglichkeiten zur Differenzierung im Wettbewerb, sei es in Bezug auf Produkte und Dienstleistungen oder durch die Nutzung der Effekte auf Prozess- und Personalebene. Diese Technologien fördern auch die Innovationsfähigkeit der Unternehmen, die sie einsetzen. Praktisch entstehen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz neue Differenzierungsmerkmale im internationalen Wettbewerb bei jenen Wettbewerber*innen, denen es gelingt, das Potenzial zu realisieren, was die folgenden Ausführungen eines Produktmanagers im produzierenden Mittelstand bestätigen: "Während der typische Produktentwicklungszyklus einer Baureihe bei uns im Konzern ca. sechs bis sieben Jahre dauert, realisiert die chinesische Konkurrenz unter Einbindung von KI-Systemen diesen in maximal zwei Jahren. Konkret: Wenn der erste deutsche Prototyp nach ca. eineinhalb Jahren in das Ramp-up geht, ist die chinesische Konkurrenz in der vierten bis fünften Modifikation. Diese übertrifft zunehmend häufig die vielzitierte deutsche Qualität – die wohlgemerkt erst vier bis fünf Jahre später entstehen kann."

Fortschritt verändert das Organisationsgefüge

Die Praxis zeigt, dass das Potenzial der KI betriebsspezifisch erschlossen werden muss, denn die Anwendung dockt stets an den spezifischen Gegebenheiten eines organisationalen Systems an.  Unabhängig von den organisationsspezifischen Voraussetzungen für den Einsatz der Technologie, entstehen fast immer weitreichende Diskussionen. Schnell wird deutlich, dass Algorithmen die Art und Weise des Geschäftsbetriebs, Kernprozesse, Arbeitsplätze und soziale und gruppendynamische Prozesse grundlegend verändern.

Organisationen, in denen KI-Lösungen zur Anwendung kommen (sollen), werden sich mittelfristig unter anderen mit folgenden Effekten auseinandersetzen müssen:

  1. Die nachhaltige Einführung von KI hat Implikationen auf einzelne Elemente oder das gesamte Organisationsdesign: Rollen, Fähigkeiten und Schnittstellen sind vielfach neu zu entwickeln, ebenso erfolgen oft strukturelle und prozessuale Anpassungen, damit KI-Lösungen wirksam werden können. KI-Anwendungen und Systeme benötigen spezifische Voraussetzungen, um wirksam zu werden.
  2. Die Arbeit mit KI-Systemen beeinflusst etablierte Muster des organisationsspezifischen Führungssystems. Insbesondere Entscheidungsrollen und -verfahren sind neu zu definieren und/oder auszuhandeln. Neben der Unterstützung von Entscheidungsprozessen entsteht zunehmend die Frage, wo gemeinsame Entscheidungen aus der Mensch-Maschine-Interaktion (symbiotisches Entscheiden) oder autonome Entscheidungen durch die KI selbst getroffen werden können oder sollten. In der Konsequenz sind Anpassungen im Führungssystem erforderlich, da Macht- und Legitimationsbasen von klassischer Führung sich verändern. 
  3. Die Arbeit mit generativer künstlicher Intelligenz stößt weitreiche und kulturprägende Transparenzdiskussionen an, in denen Zielkonflikte auszubalancieren sind.  Eine KI ist nur so gut wie der Umfang, die Güte, die Qualität und die Verfügbarkeit von Daten. Gleichzeitig gilt es ethische Standards im Umgang mit Daten zu berücksichtigen.
  4. Grundlegende Prinzipien der Arbeitsorganisation und Kooperation müssen durch die doppelte Hybridität z.T. neu definiert werden. Menschen, Künstliche Intelligenzen und möglicherweise Roboter interagieren zukünftig in einer doppelt hybriden Arbeitswelt, in der neben der Zeit- und Ortsflexibilität ebenso geklärt werden muss, was konkret von wem getan wird und wie die gemeinsame Leistungserbringung möglich ist/wird. Hierfür gilt es Standards, Workflows, Regeln und Verfahren zu entwickeln, in deren Konsequenz sich individuelle und kollaborative Arbeitsweisen und Verantwortlichkeiten umfassend verändern.
  5. Die Mensch-Maschine Symbiose löst tiefgreifende kulturelle Diskussionen aus. Durch die Veränderung einer Vielzahl potenziell stabilisierender Faktoren entstehen fundamentale Fragen mit starkem Identitätsbezug. Es gilt zu klären, welche Wertbeiträge von wem wie erbracht werden und warum.

Führung prägt und muss sich selbst neu ausrichten

Das Führungssystem und seine Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Erschließung des Potenzials von KI, im positiven wie im negativen Sinn. Im Gegensatz zu früheren Digitalisierungsprozessen sind Führungskräfte noch stärker als Fachkräfte gefordert. Obwohl ihr Fachwissen wichtig ist, werden Fachkenntnisse und Erfahrungswissen in den nächsten 3 bis 5 Jahren zunehmend durch Technologien substituiert. Infolgedessen verlieren nicht wenige Führungskräfte Teile ihrer klassischen Macht und Identität. Sie müssen ihr Aufgaben- und Prioritätenportfolio aktualisieren und ihr Rollenverständnis anpassen, um ihre Legitimation zu behalten. Damit sie ihre Rolle auch in Zukunft wirksam erfüllen können, ist technologisches und KI-spezifisches Know-how erforderlich. Nur so können sie selbst erfolgreich mit KI interagieren und Teamprozesse in ihrem Verantwortungsbereich auf erfolgreiche Mensch-Maschine-Interaktionen umstellen.

Die Qualifizierung von Führungskräften sollte daher ein wesentlicher Baustein in Zukunftsarchitekturen sein. Ein vorbereitendes und unterstützendes Curriculum für Führungskräfte zur Einführung in das Technologiefeld KI sollte folgende Themenbereiche umfassen:

  1. Einführung in die KI: Überblick über KI, maschinelles Lernen und verwandte Technologien; Definition von KI und verschiedenen Typen sowie deren aktuellen und potenziellen Einfluss auf die Industrie.
  2. Anwendungsbereiche von KI: Praktische Beispiele und Fallstudien zur Implementierung von KI in verschiedenen Branchen und deren Auswirkungen; Anwendungsfälle in der eigenen Domäne und Lernpunkte, Betonung verschiedener Anwendungsfelder und deren Vor- und Nachteile.
  3. Technischer Umgang mit KI: Grundlegendes Verständnis dafür, wie KI-Systeme funktionieren, ohne detaillierte technische Details.
  4. Management von KI-Projekten: Strategien zur Implementierung von KI-Projekten, Auswahl geeigneter KI-Tools und Programme sowie Maßnahmen zur Bewertung des Erfolgs von KI-Einführungen.
  5. Ethik und KI: Informationen über ethische Überlegungen im Zusammenhang mit KI, einschließlich Datenschutz, Diskriminierung, Transparenz und Fairness.
  6. Change-Management und KI: Schulung in Führungstechniken für das Management von Veränderungen, die durch KI entstehen, einschließlich Organisationsveränderung, Mitarbeiter*innenentwicklung und Unternehmenskultur.
  7. Zukunft der Arbeit mit KI: Überblick über zu erwartende Veränderungen in Arbeitsabläufen, Anforderungen an Fähigkeiten und Organisationsstrukturen sowie Maßnahmen zur Vorbereitung auf diese Veränderungen.

KI verändert das Selbstverständnis und das Wirken von Führungssystemen

Idealerweise sollte die Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Konsequenzen von KI als gemeinsame Lernreise des Führungssystems erfolgen. Begleitstudien zur Implementierungspraxis zeigen, dass KI-Systeme umso besser akzeptiert und integriert werden, je besser Algorithmen und Mechanismen die bestehenden Führungskulturen und -strukturen unterstützen. Dies bedeutet konkret:

Führungssysteme, die durch Objektivität, Veränderungsbereitschaft, Fehlerkultur, Dialog und kollektive Entscheidungsfindung gekennzeichnet sind, nutzen KI-Potenziale schneller als Führungssysteme, die auf Macht, Kontrolle, Abhängigkeit und Intransparenz setzen. Letztere Organisationen haben viele organisatorische und oft emotionale Barrieren.

Perspektivwechsel

Folgende Fragen können als Denkanstoß dienen, um das Thema aus einer anderen Perspektive zu betrachten:

  • Wie sehen Sie Künstliche Intelligenz?
  • Wo erkennen Sie in Ihrer Organisation / Ihrer Domäne Potenziale, die mithilfe von KI erschlossen werden könnten? und
  • Welche Auswirkungen hätte es, wenn Sie diesen Gedanken weiterverfolgen?

Weiterführende Literatur:

Arenberg, P. (2022): KI und Führung: Wie der Wandel gelingt! Wissensmanagement, 4, 22–25.

BMAS – KI Observatorium (2023): Auswirkungen von KI auf den Arbeitsplatz: aktuelle Erkenntnisse aus acht OECD-Ländern.

Berg, A. (2022): Künstliche Intelligenz 2022 – Wo steht die deutsche Wirtschaft: Ergebnispräsentation einer Umfrage von Bitkom Research unter 606 Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitenden.

Hasenbein, M. (2023): Führung und Teamarbeit mit Künstlicher Intelligenz und Robotern. In: Mensch und KI in Organisationen. Springer, Berlin, Heidelberg.

Pfeifer, Y., Jeske, T., Hille, S. (2022): Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf Führungskräfte und Führung; Beitrag beim GfA Frühjahrskongress 2022: Technologie und Bildung in hybriden Arbeitswelten.

Stowasser, S., Neuburger, R. et al. (2022): Führung im Wandel: Herausforderungen und Chancen durch KI. Whitepaper der AG Arbeit/Qualifikation und Mensch-Maschine Interaktion des BMBF.

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