05. Februar 13
Schlechte Strategie
Als Strategieberater bin ich laufend damit beschäftigt, mit meinen Kunden ihre aktuellen Strategien zu überarbeiten. Nur in seltenen Fällen beginnt man wirklich ganz neu. Was dabei auffällt, ist das erstaunliche Ausmaß an "schlechten“ Strategien, die mir dabei begegnen. (1)
Beispiele? Googeln Sie einmal mit dem Stichwort “Our Strategy”. Ein beliebiges Beispiel eines Ingenieurdienstleistungsunternehmens: "AMEC's strategy is clear. We are winning new contracts and expanding our capability and geographic footprint by acquisition. We are aspiring to excellence in everything we do." Samir Brikho, Chief Executive (AMEC, 4.2.2013)
So weit, so gut. Wissen Sie jetzt mehr?
Nicht jede gute Strategie wird erfolgreich umgesetzt. Nicht jede schlechte Strategie führt zum Zusammenbruch des Unternehmens oder der Organisationseinheit. Es lassen sich aber durchaus einige Punkte aufzählen, die ich schlicht als qualitative Mängel von Strategien bezeichnen würde.
1. Strategien ohne Diagnose: "Was ist hier eigentlich das Problem?“
In jedem Strategieprozess werden heute Marktanalysen gemacht, Kunden befragt, SWOT-Analysen (strengths, weaknesses, opportunities, and threats) durchgeführt. Ein entscheidender Schritt wird aber dabei häufig ausgelassen: Herausarbeiten, welche Herausforderungen Ihre Organisation in den nächsten Jahren bewältigen muss? "Was passiert, wenn nichts passiert?“, also wenn Sie so weitermachen wie bisher.
Das Problem vieler Strategien ist, dass sie viele Punkte adressieren, aber entscheidende Veränderungen bei Kunden, der Wettbewerbsstruktur, Technologieentwicklungen, etc. ausblenden. Nokia hatte natürlich eine umfassende Strategie mit anspruchsvollen Zielen, aber die Herausforderung, die sich durch Apples und Samsungs Dominanz auf dem Smartphone-Sektor ergab, grob unterschätzt und nicht ausreichend adressiert.
Es geht darum, die richtigen Probleme zu lösen – und nicht letztlich irrelevante Herausforderungen zu bewältigen (die aber dafür richtig gut ;) ).
2. Strategien als Ansammlung von strategischen Zielen: "Wohin weiß ich – aber wie?“
Eine Auflistung von Zielen ist noch keine Strategie. "Wir werden unser Wachstum steigern, die Gewinne verdoppeln, die Kunden in den Fokus stellen und begeistern, als beliebter Arbeitgeber Top-Talente einstellen, etc.“. So oder so ähnlich sehen Strategien oft aus, Sammlungen von Ergebnisgrößen. Was fehlt, ist das Verständnis, wo die tatsächlichen Stellhebel des eigenen Geschäfts sind und wie diese konkret bewegt werden sollen.
Strategie ohne Verständnis und Adressierung der Wirkkräfte der Branche und Stellhebel im eigenen Unternehmen bleibt hohl.
3. Strategien als Ansammlung von Aktivitäten: "Was zu tun ist weiß ich – aber warum?“
Die umgekehrte Variante findet sich allerdings ähnlich häufig. Das Strategiepapier ist nichts anderes als eine längere Liste von Vorhaben – faktisch immer mit Inhalten, gegen die man nicht vernünftig argumentieren kann. "Verbesserung der Produktqualität, Innovationsgeschwindigkeit, Kundenorientierung, Kostenposition, Mitarbeiterqualifikation, u.s.w. u.s.f".
Strategiearbeit zielt darauf ab, Entscheidungen zu treffen, die für die Zukunftsfähigkeit einer Organisation wesentliche Unterschiede machen. Wettbewerbsdifferenzierung am Markt erzielt man nicht durch undifferenzierte Optimierung an allen Ecken, wo Optimierungsmöglichkeiten ins Auge fallen. Die Qualität einer Strategie erkennt man daher auch daran, dass die Aktivitäten auf die Bewältigung der strategischen Herausforderung fokussiert sind.
4. Fluff: "Klingt irgendwie gut!“
“Fluff is superficial restatement of the obvious combined with a generous sprinkling of buzzwords.” (R. Rumelt)
Strategiepapiere und insbesondere Unternehmensvisionen strotzen häufig von dem, was Richard Rumelt "Fluff“ nennt. Ich nenne das "Schaumgebäck-Strategien“.
Das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung hat Ende 2012 eine Hightech-Strategie veröffentlicht: "Ziel der Hightech-Strategie ist es, Deutschland zum Vorreiter bei der Lösung dieser globalen Herausforderungen zu machen und überzeugende Antworten auf die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts zu geben. Dies ist nicht nur ein Beitrag dazu, das Leben vieler Menschen besser und lebenswerter zu machen; es bietet auch neue Wertschöpfungspotenziale für die Wirtschaft, schafft qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland und zielt darauf ab, die Talente in Deutschland besser zu nutzen.“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 4.2.2013)
Die Strategie des Kindergartens: "Für uns sind die Kinder und ihre Entwicklung im Mittelpunkt“. Es gibt einen einfachen Test, um Schaumgebäck-Strategien zu entdecken: Alles, was nicht vernünftiger Weise anders sein kann, ist vermutlich "Fluff“. Kann es Kindergärten geben, bei denen nicht die Kinder im Mittelpunkt stehen? Welches Unternehmen kann die Qualität seiner Produkte ignorieren?
Was ist also eine "gute“ Strategie? Fortsetzung folgt - bleiben Sie dran :)
(1) „Good Strategy, Bad Strategy“ ist ein Buch von Richard Rumelt, Professor für Strategy an der UCLA und einer der US amerikanischen Strategiepäpste. Dieser Beitrag ist ihm gewidmet.