27. Oktober 15
Segeln "auf Sicht" – nicht nur in Veränderungsprozessen
"Es war einmal ziemlich schön, Chef zu sein..." beginnt die BrandEins ihr Heft zum Schwerpunkt Führung.
Das beliebte Karrieremodell hat einen Knacks bekommen. Zwischen den wahrgenommenen Anforderungen an eine wirksame Führung und der tatsächlich gelebten Führungspraxis klafft ein Abgrund, so die Kulturstudie "Gute Führung", durchgeführt von der nextpractice GmbH und deren Gründer Prof. Dr. Peter Kruse.
Während die Führung von gestern für viele Organisationen nicht mehr funktioniert, scheinen neue Führungsmodelle allerdings noch vage.
Was also sind die Faktoren erfolgreicher Führung heute? Wohin kann und muss sich Führung entwickeln? Und von welchen Paradigmen müssen wir uns verabschieden?
Diese Fragen diskutierten rund 500 Führungskräfte auf dem Bundesworkshop "Gute Führung", der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit und der nextpractice GmbH veranstaltet wurde.
Der Diskurs erfasst die Wertvorstellungen aktueller Führungspraxis und verfolgt dabei den Ansatz, dass die kulturellen Kraftfelder von heute die Realitäten von morgen beschreiben
Die Ergebnisse zeigen, dass die Führungskultur in Deutschland auf dem Wege zu einem Paradigmenwechsel ist.
Während Führungskonzepten wie "starke Persönlichkeit" und "effiziente Zielerreichung" überwiegend ablehnende Aspekte zugeschrieben werden, erfreuen sich die Begriffskonzepte "kooperative Teamarbeit", "dynamische Vernetzung", "solidarische Integration" und allen voran die "iterativ testende Agilität" – oder einfacher: "Segeln auf Sicht" einer hohen Attraktivität bei Führungskräften, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Auch wenn derzeit die Bedeutungsräume noch nicht klar definiert sind, so lassen sich doch gemeinsame Entwicklungsachsen für die Entstehung zukünftig erfolgreicher Führungskonzepte beschreiben:
- Personale Führung wird weniger wichtig. In Netzwerken geht es in erster Linie um Information. Attraktiv ist nur, wer relevante Einsichten und Fähigkeiten anbieten kann. Hierarchische Macht verliert zunehmend an Bedeutung.
- Die Definition professioneller Führung verlagert sich von planvoller Zielerreichung zur Gestaltung ergebnisoffener Prozesse. Vorausdenken und Planung wird ersetzt durch maximale Agilität und Lernbereitschaft.
- Die Wert-Orientierung des Shareholder-Value-Denkens wandelt sich zunehmend zur Werte-Orientierung des Stakeholder-Ansatzes. Der vorherrschende Fokus auf Kapitalinteressen wird als Fehlentwicklung kritisiert.
Mit unserer Perspektive zur Führung in der Veränderung lohnt es sich, diese Ergebnisse in einen weiteren Kontext zu setzen, der die Dilemmata verdeutlicht, mit denen sich viele Führungskräfte nicht nur im Change-Management auseinandersetzen müssen:
- Auch wenn die personal-bilaterale Seite der Führung sich verändern mag - der Aspekt der persönlichen Beziehungsgestaltung in sozialen Situationen, in- und außerhalb von Netzwerken, bleibt essentiell. Wie lässt sich diese Kompetenz für die neuen Herausforderungen weiterentwickeln?
- In den "klassischen" Organisationen wird es neben der zunehmend bedeutsameren Logik einer Netzwerkorientierung auch weiterhin eine hierarchische Logik geben. Wie lassen sich beide von Führungskräften authentisch integrieren?
- Change Management ist nicht Ausnahme - sondern Regelfall im organisationalen Führungshandeln, prozesshaftes agiles Denken und Handeln gehören notwendigerweise dazu. Gleichzeitig bleibt das Dilemma, dass Veränderung ohne Stabilität nicht hergestellt werden kann. Wie findet man für sich selbst eine stimmige Positionierung, um beim "Segeln auf Sicht" nicht in der nächsten Nebelbank zu verschwinden?
All dies sind wichtige Fragen, die in unseren Qualifizierungen zum Führen in der Veränderung schon seit langem eine zentrale Rolle spielen, sich aber auch beständig weiterentwickeln.
Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Organisation mit dem Management dieser Fragen und Widersprüche?
Nutzen Sie auch das Forum "Gute Führung" für den Austausch mit interessierten Führungskräften.