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27. Februar 18

Vertrauen – Führungsromantik in Zeiten der Digitalisierung?

"Vertrauen" scheint im Unternehmenskontext eine wichtige Rolle zu spielen: Es ist fester Bestandteil von Mitarbeiterbefragungen und schafft es regelmäßig an prominenter Stelle in Kooperationsrichtlinien und Führungsgrundsätze. Und ebenso wichtig wie es zu sein scheint, fehlt es oftmals.

Vielleicht handelt es sich bei "Vertrauen" um unhinterfragte "Führungsfolklore" oder "-romantik", von der man sich (noch) nicht verabschieden will? Vielleicht ist der Anspruch an Vertrauen angesichts der großen Herausforderungen des digitalen Zeitalters gar nicht mehr angemessen? Dazu brauchen wir als Beraterinnen und Berater einen Standpunkt - auch weil wir gerade in Prozessen zur Weiterentwicklung der Unternehmenskultur immer wieder auf den Anspruch stoßen, möglichst schnell wirksame Ansätze zum "Etablieren einer Vertrauenskultur" zu liefern. Dies umso mehr, als die Digitalisierung einen neuen Kitt braucht, wenn Automatisierung und Selbstorganisation bestehende "klassische" Führungslogiken an ihre Grenzen führen (vgl. "Klaus Danzeglocke, Wolfgang Dehm: Was von Führung übrig bleibt).

Das Thema "Vertrauen" ist in all seinen Verästelungen und Bezügen in nahezu jeder Literatur zu Führung zu finden. In diesem Begriff scheint sich vieles zu bündeln, was auch anderen Themenfeldern zugeordnet werden kann: Wertschätzung, Informiertheit, Kommunikation usw. Bereits 1968 griff Niklas Luhmann das Thema Vertrauen auf (Niklas Luhmann, 2014).

Uns erscheint die "Vertrauensfrage" als zu facettenreich, um sie kurz abzuhandeln. Und da wir nicht in die schlichte Trickkiste der Rezepte greifen wollten, servieren wir Ihnen hier nur einen Appetizer zu einem längeren Artikel, in den wir auch längere Original-Zitate aufgenommen haben (Download Langversion PDF). 

Vertrauen ist ein beeinflussbarer ökonomischer Erfolgs- und Überlebensfaktor!

Dafür sprechen die folgenden vier Aspekte:

  1. Vertrauen erleichtert den Umgang mit Komplexität durch das Vergrößern der Ambiguitätstoleranz. Dies ist für Organisationen von größter Bedeutung angesichts einer ungewissen Zukunft und stets unvollständiger Informationen. Denn künftig lässt sich Überlebensfähigkeit nur durch das effiziente Ausnutzen des Bestehenden (Exploitation) und durch das gleichzeitige flexible Erkunden des Neuen (Exploration) gewährleisten. Diese organisationale Ambidextrie (Beidhändigkeit) wird zum zentralen Überlebensfaktor.
  2. Vertrauen setzt Energie und Antriebskräfte frei und macht handlungsfähig bzw. handlungsbereit. Das ist eine für Unternehmen wesentliche Komponente, da sie in Zeiten schnellen Wandels viele "Zumutungen" für ihre Führungskräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produzieren.
  3. Bei Vertrauen handelt es sich um ein subjektives Empfinden, das aus einer Vielzahl von Faktoren gespeist wird und sich somit nicht eindimensional erzeugen lässt. "Rezepte mit garantierter Wirkung" sind deshalb wenig sinnvoll. Wir begeben uns auf die Suche nach Mechanismen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Vertrauen entstehen kann.
  4. Das Entstehen von Vertrauen wird durch soziale Interaktion beeinflusst - die (expliziten oder impliziten) Rahmenbedingungen, die die Organisation als soziales System schafft. Organisationen und Führungskräfte haben also prinzipiell Einfluss auf die Ausprägung von Vertrauen - und damit auch auf das Entstehen von Misstrauen, das durch "schlechte Erfahrungen" genährt wird.

Vertrauen aufbauen - nicht aus "moralischen" Gründen, sondern vernunftgeleitet.

Kurz und gut: Vertrauen ist wichtig. Nun geht es "nur noch" darum, wie es entstehen kann. Eine wesentliche Ursache dafür, dass dies gar nicht so einfach ist, sieht Reinhard K. Sprenger (Sprenger, 2017) darin, dass "wir anthropologisch ... unser Vertrauen auf Vertrautheit gegründet haben. Wir kennen den anderen, haben gute Erfahrungen gemacht und stellen diese Beziehung dann auf Stetigkeit." Heute hingegen müssen wir ins Vertrauen "springen", da uns die meisten Menschen, mit denen wir es (im beruflichen Kontext) zu tun haben, eher fremd sind. Es fehlt die Zeit für gemeinsame Erfahrungen "... Vertrautheit kann gar nicht entstehen."

Deshalb gilt es, die bisherige Logik auf den Kopf zu stellen: Weg vom Alltagsverständnis der "Belohnung" für lang andauernde positive Erfahrung, hin zur explizit vollzogenen Entscheidung, Vertrauen ohne Vertrautheit zu schenken, um mit der Geschwindigkeit der Moderne mithalten zu können. (R. K. Sprenger, 2002)

 

Aktives Vertrauen verpflichtet und bindet.

Wie "funktioniert" nun Vertrauen?

Alle Autoren sind sich einig: Wer zuerst Vertrauen schenkt, macht sich zwar aktiv verwundbar, bringt allerdings durch seine Risikobereitschaft eine Vertrauensspirale in Gang: "Wie durch Geschenke kann man auch durch Vertrauensbeweise fesseln." (Niklas Luhmann) "Hältst du ihn für treu, so wirst du ihn auch dazu machen." (Seneca)

Vertrauen ist in diesem "Spiel" der Einsatz; und je größer der mögliche Schaden, desto größer die Vertrauensleistung. Vertrauen nimmt andere in die Pflicht und erzeugt Ansprüche und einen gleichsam spürbaren Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

Was können Führungskräfte konkret tun, um Vertrauen bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entstehen zu lassen?

Zunächst sollten sie etwas lassen - nämlich all jene Verhaltensweisen, mit denen sie ihre eigene Unverwundbarkeit und Macht zu sichern versuchen bzw. mit denen sie eher Missmut und Misstrauen auslösen. Denn sobald Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter glauben, nicht mit wohlwollendem Handeln rechnen zu können und geringe Wertschätzung empfinden, zerfällt das ggf. vorhandene Vertrauen und kognitive Sicherheit und emotionale Geborgenheit (Psychological Safety) gehen verloren.

Die Kraft des Vertrauens kann sich erst entfalten, wenn Führungskräfte "ihr Schicksal" in die Hände ihrer Mitarbeiter legen. Und Selbstverantwortung ist ohnehin ein lohnendes Ziel.

Dabei sollten Führungskräfte sich im Führungsalltag keineswegs vertrauensselig der Hoffnung hingeben, es werde schon alles gutgehen, wenn man nur schlicht darauf "vertraut". Das wäre naiv und hätte mit verantwortungsvoller Führung wenig gemein. Es ist ja gerade das Risiko, das die Wirkung des Vertrauens entfaltet und das Bewusstsein, dass der andere die Freiheit hat, sich auch anders zu entscheiden als erhofft. Und genau damit ist zu rechnen: Es gibt keine Garantien oder Sicherheiten! Vertrauen ist Vertrauensvorschuss - sonst hätte es diese Bezeichnung nicht verdient. "Der beste Weg herauszufinden, ob man jemandem vertrauen kann, ist ihm zu vertrauen." (Ernest Hemingway)

Gleichzeitig hilft es nicht, bei Vertrauen in "Alles-oder-nichts-Kategorien" zu denken. Absolutes Vertrauen kann keine realistische Erwartung an sich selbst oder andere sein. Solche überzogenen Vorstellungen bergen hohes Enttäuschungs- und Konfliktpotenzial. Die Herausforderung besteht darin, in jeder Situation eine gute und für beide Seiten angemessene und tragbare Proportion zu finden, indem man den "Regler" zwischen Vertrauen und Misstrauen bewusst verschiebt und eine reflektierte Entscheidung trifft.

Vertrauen ist eine in hohem Maße individuelle Entscheidung - das Ergebnis einer (erworbenen) persönlichen Grundhaltung und situativer Abwägung. Das Ergebnis beeinflusst das Verhalten in der jeweiligen Situation bzw. gegenüber der entsprechenden Person. Letztlich ist Selbstvertrauen die notwendige Voraussetzung für das Gewähren von Vertrauen.

Vertrauen entsteht in einer Problemlösungsgemeinschaft nicht durch Wettbewerbsorientierung.

Je unüberschaubarer Organisationen werden, desto wahrscheinlicher geht Vertrautheit verloren. Die Bereitschaft zum Übernehmen von Verantwortung fürs Ganze sinkt, weil der eigene Beitrag zum Erfolg unklar bleibt. Man empfindet sich schnell als ohnmächtig und ausgeliefert.

Das Einfordern von Kooperation allein sichert nicht Vertrauen. Erst das Bearbeiten von wichtigen, selbsterklärenden und nur gemeinsam lösbaren Problemen fördert Vertrauen. "Es muss also gelingen, das Unternehmen als Problemlösungsgemeinschaft mit Blick auf eine gemeinsam zu gestaltende Zukunft zu entwerfen. [...] Alles, was das Gemeinschaftliche fördert, ist dazu hilfreich [...] Alles, was trennt, nicht." (R. K. Sprenger, 2002)

Vertrauen braucht individuelle und gemeinsame Startpunkte. Allein das offene Ansprechen von Problemen erfordert, auch und gerade unter den Mitgliedern von Führungsteams, sich wechselseitig "auf den Zahn fühlen zu können" ohne Kränkungen zu produzieren. Das braucht Zeit und Aufmerksamkeit im Sinne eines individuellen und gemeinsamen Lernprozesses auf allen Seiten, der regelmäßigen Reflexion und des konstruktiven Feedbacks.

Vertrauen reduziert Komplexität!

Zum Abschluss möchten wir noch einmal Niklas Luhmann zu Wort kommen lassen, der die "Vertrauensfrage" sehr pointiert beantwortet: "Vertrauen ist nicht das einzige Fundament der Welt; aber eine sehr komplexe und doch strukturierte Weltvorstellung ist ohne eine ziemlich komplexe Gesellschaft und diese ohne Vertrauen nicht zu konstituieren." (N. Luhmann, 2014)

Literatur:

  • Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 5. Auflage 2014
  • Reinhard K. Sprenger: Sprung ins Vertrauen. In: managerSeminare, Heft 233, August 2017
  • Reinhard K. Sprenger: Vertrauen 

Download Langversion (PDF)

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