14. Juli 15
We change our Range - Konzeptentwicklung mit SCRUM
Agiler Konzept-Scrum mit osb-i-Begleitung im Rahmen einer Führungsteamentwicklung im Qualitätsmanagement der Lufthansa Technik
Angefeuert von StartUp-Organisationsmodellen aus der E-Economy suchen nun auch sehr ausdifferenzierte Organisationen nach neuer Agilität in Themenbearbeitung und Entscheidungsfindung.
Wie lässt sich aber eine "neue Agilität" etablieren, wenn man bereits auf allen Ebenen eine höchst differenzierte Organisation vorweisen kann (z.B. im Prozessmanagement, im Projektmanagement, in den funktionalen Rollen und deren Zusammenspiel an Schnittstellen, ...)?
Oft suchen diese Organisationen ihr Heil in "Insellösungen", d.h. es werden Innovations-Biotope geschaffen, in denen permanent die Bedarfe der vorausschauenden Selbsterneuerung abgescannt werden, um neue Lösungen zu entwickeln. Aber auch diese - häufig bewusst hierarchiefreien - Entwicklungsinseln müssen letztlich wieder mit den bisherigen Steuerungs- und Management-Logiken intelligent verknüpft werden. Eine Übung, die nicht selten aufgrund divergierender interner politischer Interessenslagen immer wieder recht sperrig verläuft, z.B. wenn die gerade noch innovativen Geschäftsideen im Rahmen langwieriger Projektkonkretisierung nach und nach wieder in Frage gestellt werden.
Praxis-Werkstatt
Im Rahmen einer kontinuierlichen Entwicklungsmaßnahme für ein Führungsteam im Qualitätsmanagement der Lufthansa Technik haben wir gute Erfahrungen mit einer Adaption der Scrum-Methodik gemacht. Diese hatten wir in der osb-i bisher vor allem als Variante der Strategieentwicklung beschrieben, getestet und in diversen Kundenveranstaltungen vorgestellt (vorangetrieben von meinen Kollegen Walter Dietl und Reinhart Nagel).
Das "Neue" für den Bereich Qualitätsmanagement im Lufthansa Konzern lag darin, das Scrum-Prinizip auf die Entwicklung der eigenen Steuerungs- und Dienstleistungsprodukte zu übertragen und in diesem Rahmen überhaupt ein gemeinsames Produktverständnis in der gesamten Führungsmannschaft zu entwickeln. Vorgabe von Seiten unseres Kunden war dabei, die gesamte Führungsmannschaft in die gemeinsame Arbeit zu diesen Fragen zu integrieren.
Die Ausgangslage: Veränderungsnotwendigkeiten im Bereich Qualitätsmanagement wahrnehmen
Der Bereich TQ (Qualitätsmanagement) ist als Zentralbereich der Lufthansa Technik den gleichen Veränderungsnotwendigkeiten unterworfen, wie alle produktiven Einheiten auch. Im Kern geht es um eine stärkere Internationalisierung mit Fokus auf die Wachstumsstrategie der Gesellschaft und eine intelligente Ausbalancierung von Kosten- und Effizienzmaßnahmen und dem Vorantreiben innovativer Lösungen, um nachhaltiges Wachstum generieren zu können.
Der Bereichsleiter Rainer Lindau hatte daraufhin frühzeitig das Motto "We change our Range" für die Veränderungsnotwendigkeiten im Bereich Qualitätsmanagement ausgegeben und damit Orientierung für die diversen Aktivitäten geschaffen. In zwei von der osb-i moderierten Workshops mit unterschiedlichen Führungsebenen des Bereiches wurden zudem das neue Selbstverständnis geschärft, die Zielrichtungen der Veränderungen konkretisiert und die Implikationen für Zusammenarbeit in der Führungsmannschaft kritisch reflektiert.
Zurück im operativen Alltag machte man jedoch schnell die Erfahrung, dass sowohl der konzeptionelle Entwurf als auch die Umsetzung der damit verbundenen Change-Themen (wie z.B. die Internationalisierung des eigenen QM-Anspruchs in einem erweiterten Konzernverbund) nur schleppend vorangingen.
Die Verortung dieser Themen im internen Projektmanagement birgt grundsätzlich Risiken für Kompetenzstreitigkeiten und eher langwellige Bearbeitungsschleifen. Auch eine bereits sehr differenziert vorhandene Prozessarchitektur hemmt tendenziell ein Denken in neuen Lösungen.
Unser Ansatz: Aufsatz eines global wirkenden integrierten Managementsystems mithilfe der agilen Entwicklungsmethode Scrum
Der Bereichsleiter und der osb-i-Berater wollten die nächste Außentagung nutzen, um eine innovative Führungskräftetagung zu den aktuell wichtigsten Change-Bedarfen nach den Prinzipien des Scrum durchzuführen.
Scrum™ ist ein vor allem in der Softwareentwicklung etabliertes Projektmanagement -Rahmenwerk (siehe auch Schwaber & Sutherland) das sich an den Prinzipien agiler Entwicklung orientiert:
- Funktionsübergreifende, sich selbstorganisierende Entwicklungsteams entwickeln in konzeptionellen "Sprints" launchfähige Lösungen.
- Die Anforderungen an die Lösungen sind als Listeneinträge im "Produkt-Backlog" festgehalten. Kunden und Entwicklungsteams arbeiten eng zusammen.
- Ein Produktowner ermittelt, entwickelt und priorisiert Anforderungen des Produkt Backlogs und gibt damit die Richtung immer wieder klar vor.
- Ein Scrum-Master unterstützt als Moderator und Team Coach. Er ist verantwortlich für die Einhaltung der Scrum Regeln und die optimale Umsetzung des Scrum Prozesses.
Die inhaltliche Herausforderung auf der Sachdimension der Veränderung für den Bereich (das Was) ist dabei der Aufsatz eines global wirkenden integrierten Managementsystems zur Unterstützung der Wachstumsstrategie der LHT im Verbund und die damit verbundenen neuen Anforderungen an das Management der Quality- und Safety-Prozesse.
Hierzu wurde vom Bereichsleiter als Produktowner eine erste Produktdefinition für den Scrum herausgegeben:
"Ausgehend von der derzeitigen Prozess-, Audit- und Review-Struktur ist deren Wirksamkeit unter Beachtung unseres TQ-Selbstverständnisses und unseres Anspruches ,"We change our Range!", hinsichtlich der Frühindikation von Risiken und der Governance-Rolle zu prüfen. Im Ergebnis sind erforderliche Prozesse konzeptionell weiterzuentwickeln und dann schrittweise umzusetzen".
Zu dieser Frage und daraus abgeleiteten (Backlog-)Spezifikationen wurde anschließend in diversen übergreifenden Führungskräftegruppen diskutiert. Im Ergebnis wurden nach drei Iterationsschleifen gemeinsame konzeptionelle Entwürfe entwickelt.
Nach dieser ersten zweitägigen Klausur über drei Führungsebenen hinweg, zeigten sich die Führungskräfte des Bereiches positiv überrascht, wie schnell und effizient man mit den Scrum-Prinzipien des agilen Vorgehens zu einer gemeinsamen Ausrichtung für die anstehenden Change-Themen und zu umsetzbaren Ergebnissen gekommen war.
Folgende Erfolgsfaktoren sehen wir dabei als entscheidend an:
- Die permanente Erreichbarkeit und Transparenz des Bereichsleiters in seiner Rolle als Produktowner ermöglichte den themenverantwortlichen Führungskräften der nachfolgenden Ebenen eine viel schnellere Neujustierung der Erwartungshaltungen als dieses im Projektalltag bisher der Fall gewesen war. Dieses temporäre Durchbrechen der bisherigen Projektstrukturen erlaubte einen breiteren Einbezug von Stakeholdern zur Definition der Produktvisionen sowie ein kurzzyklisches "Nachschärfen" bei Bedarf. Dadurch wurden die Erwartungshaltungen der Bereichsleitung aber auch der internen Stakeholder wesentlicher konkreter.
- Die geteilte Verantwortung im interdisziplinären Entwicklungsteam über alle Abteilungsgrenzen hinweg, förderte eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen den Führungskräften. Man begegnete sich in neuen Rollen und konnte auf diese Weise bisherige fachliche Konflikte konstruktiv aushandeln. Die Frage: Wie kommen wir gemeinsam zu passenden Lösungen? ersetzte die Frage: Wer ist zuständig und darf definieren, was eine gute Lösung ist? Unterstützt wurde diese Haltung auch durch den permanenten Zeitdruck. Die Teams arbeiteten parallel an Teilprodukten / Backlogs und mussten jeweils in 2-3 stündigen Sequenzen zu vorzeigbaren Zwischenlösungen kommen.
- Der Einbezug der dritten Führungsebene erweiterte die Perspektiven in der Beschreibung neuer zukunftsfähiger Steuerungs- und Dienstleistungsprodukte und verhinderte ein einseitiges "Festhalten" an den bewährten bisherigen Routinen, die gerade in einem zentralen Qualitätsmanagement eine hohe identitätsstiftende Bedeutung haben. •Die jüngeren Führungskräfte fühlten sich alleine schon von der Methodik stark angezogen und inspiriert. Der gleichberechtigte Austausch mit den etablierten Abteilungsleitern "auf Augenhöhe" stärkt die innere Bindung an den Bereich.
- Durch die vorherige Arbeit mit diesem Führungsteam war eine ausreichende Reife und Arbeitsfähigkeit in der sozialen Dimension erreicht worden, um sich dem Experiment Scrum-Methodik miteinander vertrauensvoll stellen zu können.
Unterm Strich konnten im "Was" der Themenbearbeitung also echte inhaltliche Fortschritte verbucht werden. Im "Wie" der sozialen Dimension des Change entstand eine konstruktive positive Energie im neuen Miteinander. Das alles gelang in einem sehr verdichteten Zeitraum. Am Ende des Workshops wurden klare Verabredungen getroffen, die Zukunftsthemen dieses Bereiches auch weiterhin mit Hilfe des Scrum-Vorgehens voranzutreiben.
Die aktuelle Herausforderung: Verknüpfung der Logiken im operativen Alltag
Angekommen im operativen Alltag zeigten sich jedoch auch bald die Friktionen im Konzert dieser verschiedenen Bearbeitungslogiken (agiles Vorgehen, klassisches Projektmanagement, Prozesslogik, Spartenlogik ...):
- Ohne unterstützende Moderation ist die Dynamik gebremst, in seiner Rolle als Produktowner ist der Bereichsleiter nur begrenzt verfügbar, eine Fokussierung wie im komprimierten Rahmen einer Außentagung ist nicht direkt gegeben. Die ausbalancierende Moderation des Scrum-Masters beeinflusst die Rolle des Produktowners positiv. Wenn diese nicht verfügbar ist, wird der Prozess schwieriger.
- Die erste selbstständige Arbeit der Scrum-Teams zeigt deutlich, dass neben der Methodik auch eine sichtbare Hürde im Bereich des "Wie?" / im Miteinander durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer überwunden werden muss.
- Die Intensität durch die Verdichtung der konzeptionellen Diskussionen der Sprints der Außentagung konnte durch den Transfer in die kürzeren Besprechungsformate des operativen Alltags noch nicht in gleicher Form aufrechterhalten werden.
Aber trotz dieser typischen "Rumpelstrecke" gelang es schließlich, diese Friktionen aufzulösen. Der Bereich arbeitet aktuell an zwei konkreten Fragestellungen (Backlogs), die sich aus der ursprünglichen Produktbeschreibung ableiten ließen.
Abschließend resümiert Bereichsleiter Rainer Lindau das Vorgehen wie folgt:
"Mit der agilen Konzeptentwicklung im Scrum ist das Motto "We change our Range" nicht nur als Anspruch und Ausrichtung nach außen, sondern auch im Vorgehen bei der Themenbearbeitung nach innen eingelöst worden. Wir werden weiter daran arbeiten, dieses Bearbeitungs- und Steuerungsformat auch langfristig zu etablieren."
Literatur / Quelle:
Kniberg, H., Ivarsson, A.: "Stämme, Trupps, Verbände und Zünfte - Agiles zusammenarbeiten beim Softwareunternehmen Spotify", Zeitschrift für Organisationsentwicklung, Heft 1, 2015
Schwaber, K., Sutherland, J.: "Der Scrum-Guide™", 2013
Von der Reith, F., Lohmer, M.: Systemisches Change - Management: Dimensionen der Wirksamkeit; in: Wimmer, R., Lieckweg, T.,Glatzel, K. (Hrsg.), Beratung im Dritten Modus - Die Kunst, Komplexität zu nutzen, S. 148-173, Carl-Auer Verlag, 2014.
Von der Reith, F., Wimmer, R.: Organisationsentwicklung und Change Management; in: Wimmer, R.; Meissner, J., Wolf, P. (Hrsg.): Praktische Organisationswissenschaft, Carl Auer, 2014.