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27. Juni 17

Wir gehen den Weg weiter: Timing im Phase-Out einer Wartungshalle.

von Frank von der Reith, osb international

Wenn in einem Konzern ein Standort geschlossen wird, ist dies zunächst für alle Beteiligten eine bittere Nachricht. Noch vielmehr, wenn wir es wie hier mit einer früheren Kernsparte des Unternehmens zu tun haben: der Wartung von großem Equipment. Die Emotionen gehen hoch und mit der sich auflösenden Bindung zum Produkt schwindet auch die Loyalität zum Unternehmen. Die Geschichte dieses Cases ist schnell erzählt:

  • Durch die im Rahmen der Globalisierung sich eröffnenden Möglichkeiten eines breiteren Wettbewerbsumfeldes sind Montage- und Überholungsdienstleistungen im Hochlohnland Deutschland in der Vergangenheit stark unter Druck geraten. Vor allem im Bereich standardisierbarer Leistungen.
  • In dem Unternehmen gab es schon in den letzten Jahren einen verstärkten Druck auf Produktivität und Effektivität in den Abläufen, den die Mannschaft aktiv angenommen und mit erheblichem Einsatz und persönlichen Einbußen vor allem im Bereich Arbeitszeitregelung umgesetzt hat.
  • Das wahrgenommene Versprechen des Managements, damit die Überlebensfähigkeit langfristig zu sichern, konnte letztlich aber nicht eingelöst werden, obwohl der eigene Standort nachweisbar im Vergleich qualitativ führend ist.
  • Das Vertrauen in das Management erodierte.
  • Es wurde ein Transferprojekt aufgesetzt, das einen Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in andere Bereiche des Konzerns überführen soll. Für die meisten Führungskräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedeutete das: Sie konnten zwar bleiben, mussten sich aber für Stellen in Bereichen mit ungünstigeren Tarifen bewerben oder für Stellen mit vergleichbarer Bezahlung, für die sie neue Kompetenzen benötigen. So müssen sich Meister und Gruppenleiter darauf einstellen, ihre Führungsrolle zu verlieren oder zukünftig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu führen, die ihnen fachlich voraus sind. Gleichzeitig sollten sie gewährleisten, dass mehrere hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem geordneten Prozess schnell und motiviert in ihre neuen Bereiche transferiert werden.
  • Im Hintergrund trugen Unternehmensleitung und Mitarbeitervertretung im Interessensausgleich alte Konflikte aus. Es begann eine Phase mit diametral gegensätzlichen Botschaften der betrieblichen Gremien zum Verhalten im Transformationsprozess: Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich im Stellenbewerbungsprozess nun proaktiv bewarben (Empfehlung des Unternehmens), wussten sie vorab nicht, wo sie am Ende landen würden. Bewegten sie sich nicht (Empfehlung des Betriebsrates), gingen sie zunächst zwar kein Risiko ein, bekamen am Ende aber vielleicht nur jene Stellen, die im internen Ausschreibungsprozess übrig bleiben würden.
  • Ein Dilemma! Die Folge: Das Vertrauen in das Management und den BR erodierte weiter.

In dieser Situation wurde die osb international hinzugerufen.

Kernthema: Bearbeitung der Desorientierung im Auflösungsprozess

Unser Eindruck: Die Entscheidung für die Auflösung der bisherigen Organisation war bei den betroffenen Führungskräften, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch nicht annähernd verarbeitet, obwohl bereits ein halbes Jahr vergangen war. Die Spitze der Abteilung musste sich im Spannungsfeld von eigener Betroffenheit und Führen in Veränderung beweisen, gleichzeitig gab es bereits Neuverortungen in anderen Organisationseinheiten. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren gekränkt, da die eigenen Anstrengungen und Zugeständnisse der letzten Jahre am Ende die Einheit bzw. Halle doch nicht retten konnten. Sie standen ihren Führungskräften und fast allen anderen Instanzen misstrauisch gegenüber. Gleichzeitig waren auch die Rahmenbedingungen für die Transition noch unklar. In allen Führungs- und Projektgremien gab es personelle Wechsel, sodass ausgerechnet in dieser heiklen Phase der Veränderung die stabilen Ansprechstellen fehlten.

Ziel des Beratungsprozesses: Die Transition bewusst gestalten und die Loyalität der Betroffenen zum Unternehmen erhalten

Mit folgenden Formaten konnten wir den Prozess in enger Zusammenarbeit mit dem HR-Bereich unterstützen:

  • Sichtung und Sortierung der Baustellen und der Gestaltungsoptionen in der Transition.
  • Vernetzung und Alignment der verantwortlichen Instanzen im Prozess, vor allem der verantwortlichen Führungskreise.
  • Kommunikation und Orientierung auf Sicht:Etablierung eines stabilisierenden Kommunikationspfades mit hohen Dialoganteilen.
  • Angebot von (selbst-)klärenden Formaten für Führungskräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Seminare und Coaching).

Das richtige Timing im Prozess

Das richtige Timing gab es naturgemäß nicht als planbares Moment. Aber es lassen sich doch einige Learnings aus diesem Prozess beschreiben, die auf vergleichbare Herausforderungen anzuwenden wären:

Der Schlüssel zum vielbeschworenen Alignment liegt im echten Dialog. Dieser muss am Anfang stehen und er kann nur in kleineren Formaten wirksam erzeugt werden.

Eine Klärung und Sortierung der wichtigsten Baustellen benötigte ein überschaubares Format mit dem oberen Führungskreis und den wichtigsten Projektbeteiligten. In diesem Rahmen brauchte es vor allem ausreichend Zeit, um die bisherigen Enttäuschungen und wechselseitigen Zuschreibungen bearbeiten zu können. Das konnte nur funktionieren, indem sich auch die oberste Ebene aktiv hinterfragte. In diesem Sinne muss eine solche Kick-Off Veranstaltung für den Aufbruch zur letzten Etappe im positiven Sinne als "Verletzbarer Ort" gestaltet werden (G. Ziemer) an dem sich die Beteiligten neu erleben können. Die Sozialdimension erforderte zunächst eine deutliche Dominanz gegenüber der Inhaltsdimension.

In der Sequenz der Veranstaltungen braucht es jeweils einen neuen aktuellen Inhaltsstand, um die Bereitschaft für eine gemeinsame Haltung auf dem Weg zu erzeugen.

Danach begann die Taktung nach inhaltlichem Fortschritt im Interessensausgleich. In unserem Fall war es von zentraler Wichtigkeit, dass - vor allem auf der Ebene von Meistern und fachlichen Teamleitern als zentrale Multiplikatoren - immer kurz vor einem Workshop ein neuer konkreterer Stand zum Stellentransferprozess zu verzeichnen war. Erst damit war die Bereitschaft vorhanden, sich mit einer proaktiven gemeinsamen Erzählung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Change zu stellen. Solche Veranstaltungen sollten idealerweise 1-2 Tage nach einer neuen inhaltlichen Entwicklung stattfinden, bevor die Informationen ungefiltert und ungedeutet in die Organisation sickern. Wichtig dabei war, dass vor allem den verantwortlichen Führungskräften der mittleren Ebenen diese Informationen aus "erster Hand" zur Verfügung standen, und zwar noch bevor die Gremien diese für den politischen Prozess "glätten" und neutralisieren konnten. Dadurch gelang es, das Vertrauen in die obere Führung wieder zu stärken.

Es braucht bedeutsame symbolische Ereignisse und hilfreiche Metaphern, um den Transfer auch innerlich abschließen zu können.

In unserem Fall war es die Fertigstellung des letzten Großauftrages, die angemessen "gefeiert" wurde. Entscheidend dabei war die Vorbereitung dieses Events durch eine gemischte Gruppe von Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern, Führungskräften der verschiedenen Ebenen und HR. Der Durchbruch, die Bereitschaft zu einer solchen Veranstaltung herzustellen, gelang durch den Verzicht auf klassische "Reden" durch das verantwortliche Management. Mit dem internen Slogan "Wir gehen den Weg weiter" und seiner angemessenen Konkretisierung für die Arbeitsebene fiel es den Beteiligten leichter, sich mit Stolz von ihrem bisherigen Tätigkeitsfeld zu verabschieden. Eine hilfreiche Metapher für diese Haltung fand sich in den Führungsreflexionen Sir Ernest Shackletons. Seine Botschaft, dass es auch nach einem Scheitern noch etwas zu retten gibt und dieses Führung und Haltung braucht, kam vor allem auf der Meisterebene gut an. Ein frühzeitiger Aufbau von Unterstützungsstrukturen in den aufnehmenden Bereichen verhindert eine zu heftige Rüttelstrecke bei der Integration der "gestrandeten" Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Rolle der aufnehmenden Bereiche in einem solchen Prozess sollte nicht unterschätzt werden. Konkret wurde hier ein bereichsbezogenes Angebot zum Peer-Coaching wirksam, mit dem die aufnehmenden Führungskräfte sich auf die Integrations- und Führungsanforderungen vorbereiten konnten. Es braucht einen Rhythmus der Kommunikation. Begleitend wurden von der HR-Abteilung viele hilfreiche Maßnahmen implementiert. Hier ist vor allem ein regelmäßiges Kommunikationsangebot vor Ort, direkt in der Halle zu nennen. Auch wenn sich weitere Angebote nicht durchsetzen konnten (ein Gerüchteboard wurde nicht mehr angenommen, eine Social Media-Lösung für kurzfristige Neuigkeiten für Führungskräfte scheiterte daran, dass viele gar kein Smartphone besaßen): Die Schlüsselfaktoren zu gelingender Kommunikation in einem solchen Prozess liegen in der Direktheit des Austausches und in der konsequenten Rhythmisierung der Kommunikationsintervalle. So entstand eine orientierende Prozesssicherheit und Verlässlichkeit in der Ungewissheit. Der kluge Schackleton wusste schon was er tat, als er alle Schiffsroutinen weiterlaufen ließ, nachdem seine Endurance im Packeis vor der Antarktis stecken geblieben war. – Am Ende wurden alle Männer gerettet.

Hintergrund-/ Weiterführende Literatur:

  • Gesa Ziemer: 2Verletzbare Orte – Entwurf einer praktischen Ästhetik", Diaphanes, 2008
  • Koehn, Nancy: "Leadership in Crisis - Ernest Shackleton and the Epic Voyage of the Endurance". Harvard Business School Case Study, 2003

 

 

 

 

 

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