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03. Dezember 20

Die Rolle der Technik für Distanzüberwindung

Gelungene virtuelle Führung und worauf es immer wieder ankommt.

von Udo Kronshage, Hans Gärtner und Stephan Dohrn (Radical Inclusion)

Führung über weite Entfernungen ist keine neue Herausforderung!
Auch in Zeiten vor technischen Kommunikationsmedien gab es Kommunikation und Kollaborationsformen, die dafür sorgten, dass verteilte Organisationen funktionsfähig blieben. Die Mittel waren mündliche, geknotete oder schriftliche Mitteilungen, überbracht von laufenden und berittenen Boten, Tauben, Postkutschen und auf anderem Wege. Erst seit relativ kurzer Zeit sind es elektrische Impulse oder Lichtwellen über Kupferdrähte, Radiowellen und Glasfaserbündel, die die wesentliche Kommunikationslast tragen.

Welche Rolle spielt die Technologie wirklich als Voraussetzung oder Enabler für gelingende Kommunikation, Kooperation und Führung? Welche anderen Einflussfaktoren oder Bedingungen sind wichtig?

Zusammenarbeit in Echtzeit als die beste Zusammenarbeit?

Heute wollen wir eine ungewöhnliche Perspektive auf das virtuell koordinierte Handeln einnehmen. Moderne Kooperation auf Distanz eröffnet durch die hohe Synchronizität der verwendeten Medien (Bild und Ton in Echtzeit) noch mehr als früher die Illusion, dass die "echte" handlungsleitende Wirkung in dieser Form entsteht. Wenn wir dagegen bspw. an Briefe als Medium denken, ist leichter vorstellbar, dass nicht durch den Brief selbst, sondern durch andere Einflüsse die Wirkung auf das Handeln entsteht.

Um die Möglichkeiten und Grenzen virtueller Wirksamkeit auf die Kooperation besser zu verstehen, wollen wir eine große Distanz einnehmen, die zunächst vielleicht auch "spinnert" wirkt. Aber vielleicht können wir darüber etwas besser unterscheiden zwischen dem Kommunikationswerkzeug, seinen Wirkungen und der Resonanzfähigkeit der Beteiligten.

Die Lehren des König Artus zur Zusammenarbeit über Distanz

Angeregt dazu wurden wir durch die amerikanische Publizistin Jaclyn Kostner und ihren Roman "Knights of the Tele-Round Table", Untertitel "Insights for every Executive - especially those who must manage from afar".

Sie führt uns in die Sage von Artus und den Rittern der Tafelrunde. Auch König Artus - sollte er denn überhaupt je gelebt haben - musste sein Königreich Britannien nach der Vereinigung der versprengten Ritter über erhebliche Distanzen hinweg und unter den Bedingungen langsamer Feedbackschleifen zusammenhalten und führen und beständig den Zentrifugalkräften entgegenwirken, denen sein Riesenreich ausgesetzt war.

Wie ihm das gelang, wird geschildert in Dialogen zwischen Jim Smith, dem Protagonisten und global agierenden Teammanager aus der Gegenwart, und König Artus - 1500 Jahre zeitlich voneinander getrennt - erklärt dieser dem an seiner Aufgabe als Leiter eines verteilten Teams verzweifelnden Jim, mit welchen Ansätzen und konkreten Verhaltensweisen er seine Ritter, also seine eigenen "Teammitglieder," wenn man so will, bei der Stange hielt.

In diesem unterhaltsamen Buch wird die sowieso schon sagenhafte Story natürlich noch weiter phantastisch ausgebaut. Und sicher ist die Anekdote von den drei verschiedenfarbigen Brieftaubenarten, die der König verwendete, um an seine Ritter Nachrichten mit unterschiedlicher Resonanzdringlichkeit zu schicken (asynchrone Kommunikation!) in keiner der vielen Varianten der Sagenerzählung erwähnt. Die Verwendung der bekannten Metaphern Camelot und Excalibur sowie das Erscheinen der berühmten Mitstreiter Lancelot und Merlin lassen die Tipps von König Artus jedoch sehr plastisch erscheinen und gut im Gedächtnis haften.

Schauen wir einige genauer an:

Excalibur: Das berühmte Schwert könnte in der heutigen Kommunikationswelt für "Tool" stehen. Genauso wenig aber, wie das Tool an sich in der virtuellen Kommunikation etwas bewirkt, sondern das, wofür man es einsetzt, war Excalibur nicht nur ein Instrument, sondern vor allem ein Symbol für die mächtigste Waffe im verteilten Arbeiten - Vertrauen ("Trust"). Excalibur war der Gegenstand, auf den alle immer schworen und sich so ihres wechselseitigen Vertrauens und gemeinsamen Haltung versicherten. Darauf basierte der Zusammenhalt unter Distanzbedingungen: "The magic is not in the sword, it is what you create with people." (sagt Artus:-).

The Round Table: Der berühmte erste "Runde Tisch" erinnert den virtuellen Manager daran, dass das verteilte Team ein sichtbares Symbol der Einheit braucht. Verteilte Gruppen leben zunächst in ihrer eigenen Welt(-sicht) und sehen vor allem ihren eigenen lokalen Kontext. Das Symbol der Einheit und Gleichabständigkeit erinnert an das Gemeinsame, das die fehlende physische Gemeinsamkeit ersetzen muss. Artus musste seinem Ritterteam einen Namen geben, nach langem Suchen (Wertschätzung!) nannte er es die "Tafelrunde", wie wir wissen. Jim, der moderne Teamleiter, fand dies sehr überzeugend und nannte sein eigenes Team dann "Die Tele-Tafelrunde".

Wichtig ist noch eine weitere Erkenntnis: Die Ritter kamen zur Tafelrunde nicht als "followers" sondern als "leaders". Verteilte Stärke, lokale Leadership und gleichzeitig Bestandteil eines gemeinsamen Ganzen zu sein, schlossen sich nicht aus, eine gute Balance beider Perspektiven war das Ziel. Für Jim bedeutet das: Leadership ist verteilter und nicht mehr auf eine zentrale Machtposition hin konzentriert. Der Teamleiter ist gefordert, seine Mitglieder in diesen starken Rollen entsprechend wahrzunehmen und zu behandeln, als leaders.

The Joust: Artus stellte fest, dass seine Ritter schnell in kämpferische Auseinandersetzungen einstiegen, sobald sie aufeinandertrafen. Am Anfang der Tafelrunde waren sie sich noch fremd, und so zogen sie sich bei Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen auf das zurück, was ihnen am meisten vertraut war als Ritter: Das Kämpfen! Es war also ein hartes Stück Arbeit für Artus, diese Energie seiner Gefährten gewinnbringend in Energie für die gemeinsame Sache umzulenken. Das Sinnbild, was letztlich dafür entstand, war ein Symbol, die Schwerter auf dem Runden Tisch liegend mit der Spitze in die Mitte zeigend. Und für die körperliche Auseinandersetzung (es waren schließlich Ritter) erfand man die "Turniere". Hier konnte man im Wettbewerb seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Teamleiter Jim lernte von Artus, dass er mehr Zeit und Energie investieren musste, um die Werte und tieferliegenden emotionalen Bedürfnisse und Werte seiner Teammitglieder besser kennenzulernen, um damit effektiver umgehen zu können. Da es wegen der großen geographischen Distanzen seiner Teammitglieder keine "Zufallsbegegnungen" der Runde gab, war Jim gefordert, Gelegenheiten zu schaffen für wechselseitige Anregung und Reibung, aus der neue Ideen und Sichtweisen für alle Beteiligten entstehen. Diese Austauschsituationen sollten unabhängig von aktuellen Fragen "des Marktes" (Kampf mit der Welt), auf die jeweiligen Überzeugungen, Konzepte und Denkweisen (Wettstreit untereinander) gerichtet sein.

Camelot: Ein physischer Ort zwar, ein Schloss, gleichzeitig aber auch ein Symbol für das, was allen gehörte und alle verband. Alle Ritter waren aufgefordert, Camelot mit zu bauen, nicht nur physisch, sondern als das, wofür es stand. Artus erzählt die Geschichte, dass jeder Ritter der Tafelrunde aus seiner jeweiligen Region 50 Felsbrocken nach Camelot als Baumaterial für das gemeinsame Schloss beisteuern musste. Bei diesem enormen Aufwand war es jedoch wichtig, frühzeitig ein genaues Bild vom angestrebten Endprodukt zu entwerfen und sicherzustellen, dass für die Passung alle das gleiche Bild schon vor Augen hatten, wenn sie die Einzelteile zusammensuchten. Heute würde man sagen, eine gemeinsame Vision zu kreieren.
Wichtig ist aber bei der Visionsentwicklung die Verbindung von intellektuellem und emotionalem Zugang. Die Ritter beschlossen, dass diese Entwicklung nicht in einem einmaligen Akt zu bewältigen sei, sondern dass man ein tägliches Entscheidungstool dafür bräuchte. Jeder hatte die Aufgabe, sich jeden Tag die gleiche Frage zu stellen: Habe ich heute meinen Einfluss genutzt und meine Entscheidungen getroffen im Sinne des gemeinsamen Ganzen oder nicht? ("Might for Right"). Auch der moderne Manager Jim wurde sich klar darüber, dass er eine enge Koppelung des täglichen Handelns an eine gemeinsame Vision seines Teams sicherstellen musste, um die Kraftanstrengungen des Teams auch in der Vereinzelung zu bündeln. Ein starkes Camelot war die Anstrengung wert, immer wieder große Felsbrocken einzusammeln und über weite Strecken zu transportieren. Über längere Zeit würde das nur funktionieren, wenn die "Vision" des weitergebauten Schlosses / des erfolgreichen Unternehmens immer wieder als "das Richtige" beschrieben und von allen (an)erkannt würde.

Lancelot: Die Figur des Lancelot, treuer Gefährte und Waffenbruder von Artus, weist auf eine weitere Herausforderung verteilter Führung hin. Als Teamleiter eines verteilten Teams ist man nicht immer gleich weit entfernt von allen Teammitgliedern. Persönliche Vorlieben und Beziehungen spielen im Distanzempfinden eine große Rolle. So ist es aus der Führungsperspektive immer ein Balanceakt zwischen dem Sicherstellen gleicher Möglichkeiten für alle und der Pflege persönlicher Freundschaft zu einem oder mehreren Teammitgliedern. Teamleiter Jim, der das gleiche Problem mit einem befreundeten und lange vertrauten Teammitglied wie Artus mit Lancelot hatte, wurde klar, dass man sich ständig darüber ehrliche Rechenschaft ablegen und gleichzeitig Entscheidungsformen einführen muss, die glaubhaft Unparteilichkeit in den Entscheidungsprozessen sicherstellen. Das unbeobachtete Handeln in der Verteiltheit verführt noch mehr dazu, die persönlichen Präferenzen auszuleben, ohne für einen Ausgleich gegenüber den anderen zu sorgen. Implizit setzt man darauf, dass diese Unterscheidung für die anderen nicht so spürbar wird und läuft daher Gefahr, unaufmerksam mit diesem Phänomen umzugehen. Vernetzende statt sternförmiger Führung erleichtert es, dieses wichtige Führungsprinzip der Gleichbehandlung glaubwürdig einzuhalten.

Merlin: Der große Mentor Merlin hilft König Artus mit seinen Reflexionsfragen (Coaching!) vor allem darin, sich seiner eigenen Rolle als Leiter einer verteilten Organisation bewusst zu werden. Er versteht schlechte Arbeitsbeiträge nicht als Unfähigkeit der entfernteren Mitstreiter, sondern als Kommunikationsfehler und Missverständnisse. So macht Jim sich es zu seiner eigenen Aufgabe als Teamleiter, Klarheit in den Zielen und Aufgaben zu schaffen und dies so zu leisten, dass ein vernünftiges Gesamtergebnis dabei herauskommt.

Artus beschreibt zwei Konsequenzen, wenn das nicht so passiert, die auch Teamleiter Jim erfahren musste: Erstens wird das gemeinsame Ziel nicht erreicht und jeder ist wütend auf den Teamleiter über die vergebliche Anstrengung. Und man macht dann zweitens den Teamleiter dafür verantwortlich, dass er nicht in der Lage war, das Team zu koordinieren und zu einem erfolgreichen Ergebnis zu führen. Ein Vertrauensproblem ist also als Resultat. Nach dieser Erfahrung kam übrigens die Idee mit den Brieftauben (s.o.), ein Tool, um Klarheit im Feedbackprozess zwischen den Teamleiter und Team den Teammitgliedern untereinander herzustellen. Jim setzte dieses Ansinnen in seiner virtuellen Kommunikation dann anders um, aber davon mehr im Buch. Dort erfährt man dann auch, wie Artus und Jim sich über Tausende von Zeitzonen hinweg überhaupt trafen.

Unsere Zusammenarbeitsziele bestimmen die Tools, nicht umgekehrt.

Was nehmen wir mit aus dieser Betrachtung früherer Organisationen, die unter Distanzbedingungen und sehr langsamen Feedbackschleifen zusammengearbeitet und funktioniert haben?

Wir konzentrieren uns am Anfang unserer Überlegungen zur Distanzüberwindung nicht zuvorderst auf die technischen Tools, sondern die Kommunikationsziele. Wir erleben es gerade jetzt, in der Corona Zeit, wo viele Menschen beruflich und privat ihre Kommunikation zu wesentlichen Teilen über technische Medien abwickeln. Sie stellen die Tools, ihre Möglichkeiten und die Erfahrungen damit in den Mittelpunkt der Diskussion über Zusammenarbeit. Es wird versucht, die erlebte geringere Dichte im medialen Kommunikationskanal durch den zusätzlichen Einsatz weiterer Tools (Whiteboards, Virtual Reality) zu kompensieren. Diese Vielfalt erhöht insbesondere bei ungeübten Tool- Benutzern unnötig die Komplexität der Situation und lenkt mehr ab, als dass es zu einem Qualitätsgewinn führt. Die Lernerfahrung aus vor-technischen Zusammenarbeitskontexten ist kein Gegenentwurf zum Tooleinsatz. Sie stellt aber immer wieder eine kritische Frage: Inwieweit zahlt der Einsatz eines Tools erkennbar auf das Ziel ein, das man in seiner Organisation oder in seinem Team erreichen will? Und worauf kommt es wirklich an, wenn wir über Distanzen effektiv zusammenarbeiten und Ziele erreichen wollen?

Wir lernen, dass die Zusammenarbeitsziele, um die sich verteilte Einheiten bemühen, in unterschiedlichsten Zeiten und Situationen die gleichen geblieben sind: Einen gemeinsamen Kontext und einen sicheren (Arbeits-) Raum zu kreieren, Vertrauen zwischen den verteilt arbeitenden Organisationsmitgliedern aufzubauen, ein klares gemeinsames Zielverständnis zu haben, und die Verlässlichkeit, dass jeder an den unterschiedlichen Orten seinen Beitrag für das gemeinsame Ganze leistet.

Apropos Ziele: Als Steuerungsbild sehen wir durchaus die erneute Wiederkehr eines vertrauten Management Ansatzes - dem Management by Objectives (MbO). 1954 zuerst beschrieben von Peter F. Drucker, vom ihm betitelt als "Management by Objectives and Self-Control" (!), wurde es in den 60-er und 70-er Jahren weiterentwickelt. Im Zusammenhang mit der Balanced Scorecard aus den 90er Jahren erlebte es dann wieder ein Revival.

Als Kritikpunkt wurde immer genannt, dass in diesen Ansätzen der Kollaborationsaspekt zu wenig ausgeprägt war. In verteilten modernen Organisationen ist das aber genau die Komponente, die in der Zielediskussion ergänzt werden muss. Denn diesmal ist es in der Tat ein "Muss". Eine Top-down Verordnung von Zielen, selbst wenn sie formal in eine "Vereinbarung" mündet, hat in der verteilten Organisation keine Überlebenschance. Der Versuch einer zentralen Kontrolle verteilter Organisationseinheiten und Teammitglieder über hoch differenzierte Anweisungen, wie ein Ziel genau erreicht werden soll, führt ins Leere. Er wird in aller Regel mit der Vergrößerung der Distanz bestraft, und wirksame Sanktionsmechanismen im hierarchischen Sinne gibt es nicht. Heute zwingt uns - eigentlich wie eben auch schon zu Artus` Zeiten - die Verteiltheit der Organisation zur Betonung dieser zweiten "Seite der Medaille", wenn es um die Arbeit an gemeinsamen Organisationszielen geht.

Uns scheint die ernsthafte Auseinandersetzung über die gemeinsamen Ziele im Kollaborationsmodus den "Schweiß der Edlen" wert, um in dem Sagenbild zu bleiben. Eine geteilte Sicht bleibt die wichtigste Aufgabe der Führung - auch in einer virtuellen, verteilten Organisation. Und auch in der modernen Virtualisierung geht es erst nachrangig um die Toolauswahl, die Gestaltung der virtuellen Prozesse und den Erwerb der Moderationskompetenz, die jede Führungskraft ebenfalls braucht, die erfolgreich ein modernes verteiltes virtuelles Team führt.

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